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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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gesäubert. Es gab zum Beispiel keine Speichelspuren. Nur einige »unbedeutende« Gipspartikel.
    »Warum ›unbedeutend‹?«, fragte sich Amaldi.
    Dann konzentrierte er sich wieder auf den Ablauf der Ereignisse vor dem Mord. Der Bericht der Männer von der Spurensicherung war sehr ausführlich, sie hatten ausgezeichnete Arbeit geleistet. Das Gebäude bestand aus zwei getrennten Hausgemeinschaften, von denen jede ihren eigenen Eingang von einer anderen Straße aus hatte. In dem Teil auf der anderen Seite von Boirons Hälfte wurde gerade die Dachterrasse renoviert. Die beiden Terrassen trennte nur eine Mauer von ein Meter fünfzig Höhe, mit einem achtzig Zentimeter hohen Eisengitter darauf, also insgesamt maß die Absperrung zwei Meter und dreißig. Die Beamten der Spurensicherung vermuteten, dass der Mörder sein Opfer in eine Rolle Abdichtungsfolie eingewickelt hatte. Große, zwei Meter zwanzig hohe Rollen von diesem Material für die Instandsetzung der Terrasse waren im Innenhof aufgestapelt, eine davon hatte man allerdings am Fuß der Mauer gefunden. In ihrem Inneren waren Spuren von organischem Material, Eiter, Blut und Speichel, wie sich herausstellte. Der DNA -Vergleich stand noch aus, aber es lag nahe, dass sie von dem Zahnarzt stammten. Die Eisenleiter hatten die Arbeiter vor einer Woche von ihrem Platz entfernt – wie der Bauleiter bestätigt hatte – und auf der Terrasse liegen gelassen, weil sie später abgebeizt, verstärkt und neu angeschweißt werden sollte. Am wahrscheinlichsten war daher, dass der Mörder, sicher als Arbeiter getarnt, schon ein- oder zweimal den Tatort besichtigt hatte und sich seinen Plan aufgrund der Dinge zurechtgelegt hatte, die er dort vorgefunden hatte, und ihn dann an jenem Abend in die Tat umgesetzt hatte.
    » Rational «, dachte Amaldi. » Nicht emotional .«
    Die Beamten von der Spurensicherung hatten auf einem abgelegenen Teil der Terrasse hinter einem niedrigen gemauerten Verschlag, in dem früher die Waschküche untergebracht war, eisenhaltige Spuren gefunden, die von der Sprossenleiter stammten. Dort hatte der Mörder den Zahnarzt mit Eisendraht auf der Leiter festgebunden und dann darauf gewartet, dass Emilio Boiron nach Hause kam. Es war genauso offensichtlich, dass diese Inszenierung speziell für den Richter veranstaltet worden war. Was nach weiterer Überlegung bedeutete, dass der Mörder grundsätzlich auch die Zeiten kennen musste, zu denen Boiron üblicherweise das Haus verließ und zurückkam. Von seiner Position aus hatte er die gesamte Straße, die zu dem Haus hinaufführte, überblicken können. Dann hatte er seine tödliche Falle etwa drei Meter weit geschleift, man sah zwei helle Spuren davon auf den angegrauten Fliesen, sie auf die Brüstung gehievt und hinuntergeworfen. Mit perfektem Timing.
    »Ich habe zwei interessante Fakten«, verkündete Frese, als er bei Amaldi auf der Terrasse auftauchte. Max folgte ihm.
    Der junge Mann aus dem Archiv hatte verquollene, gerötete Augen. Er sah über die Brüstung der Terrasse. Vielleicht auf seine rote Katze. Vielleicht auch auf Giuditta.
    Amaldi schloss die Akte und massierte sich den schmerzenden Nacken. Er machte Frese und Max ein Zeichen, sich doch zu ihm zu setzen.
    »Ich habe Pileggis Sekretärin besucht«, begann Frese. »Du weißt doch, wie das ist, es lohnt sich immer, Fragen zweimal zu stellen, nicht?«
    Amaldi nickte und ließ sich mit dem Rücken gegen die Lehne sinken. Er war an diese langen Einleitungen seines Stellvertreters gewöhnt.
    »Ich habe auch die Portiersfrau gebeten, mir alles noch einmal zusammenzufassen, aber sie hat nichts Neues hinzugefügt. Sie hat zwar den alten Lieferwagen bemerkt, aber niemanden ein- oder aussteigen gesehen. So weit alles klar?«
    Amaldi nickte noch einmal geduldig.
    »Dann bin ich hinauf zu der Sekretärin … also, verdammt, wie hieß sie noch …?«, fuhr er fort und suchte in seinem zerknitterten Notizbuch.
    »Das ist nicht weiter wichtig, Nicola«, meinte Amaldi.
    »Das ist nicht weiter wichtig, stimmt, das ist wirklich nicht wichtig … Also …«, fuhr er fort und räusperte sich. »Nun, die Sekretärin, von der wir nicht wissen, wie sie heißt, sagt zu mir: ›Warum fragen Sie mich das jetzt schon wieder?‹ Und ich antworte: ›Routine‹. Richtig?«
    »Richtig«, bestätigte Amaldi.
    »Aber sie sagt: ›Sie waren doch schon zweimal bei mir und haben mir die gleichen Fragen gestellt und da haben Sie schon erzählt, das sei nur Routine!‹ Scheiße …

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