Inkubus
müssen. Ich habe schon mit dem Gerichtsmediziner gesprochen und ich glaube, dass er den Keil direkt bei den hinteren Backenzähnen angesetzt hat, als er den Mund bereits mit Gewalt geöffnet hatte und das Werkzeug zum Kieferausrenken ansetzte … vielleicht wollte er so verhindern, dass das Opfer ihn biss. Das Werkzeug, das dieser Sadist benutzt hat, muss so eine Art … Wagenheber sein, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Amaldi. »Ein Spreizeisen, ja … irgendetwas Mechanisches.«
»Warum tut er das? Nur um ihm den Apfel ins Maul zu schieben?«, fragte Frese.
Amaldi gab darauf keine Antwort. Er folgte seinen eigenen Überlegungen. Sex. Die Morde wiesen starke sexuelle Komponenten auf. Und doch hatte er gleichzeitig den Eindruck, als hätte das nur indirekt mit den Opfern zu tun.
»Es sieht mehr nach einer Hinrichtung als nach einem Mord aus«, sagte er und erinnerte sich an den ersten Gedanken, der ihm durch den Kopf gegangen war, nachdem er die Bilder von der Ermordung des Lehrers gesehen hatte. »Einer Hinrichtung «, wiederholte er. »Das ist das Schlüsselwort. Hinter den beiden Morden steckt eine höhere Idee von Gerechtigkeit …«
»Was für eine beschissene Gerechtigkeit«, kommentierte Frese.
»Gerechtigkeit«, fuhr Amaldi fort, ohne sich ablenken zu lassen. »Dazu gehört ein Richter und ein Gericht , das … auf Grundlage dieser anzunehmenden Gerechtigkeit den Lehrer und den Zahnarzt schuldig gesprochen hat. Und sie folglich verurteilt hat. Tatsächlich sperrt er sie vorher ein …«
»Na ja, eigentlich entführt er sie«, meinte Frese.
»Und dann hält er sie zwei oder drei Tage am Leben, damit er ihnen einiger Wahrscheinlichkeit nach eine Art Prozess machen kann.«
Frese und Max wagten es kaum zu atmen. Sie wussten, dass Amaldi gerade dazu ansetzte, sich in eine kranke Persönlichkeit hineinzuversetzen.
»Und wahrscheinlich bereitet es ihm überhaupt kein Vergnügen, sie umzubringen …«, meinte Amaldi fast tonlos, »ganz anders als bei einem gewöhnlichen Sadisten. Nein, er genießt das ganz bestimmt nicht. Denn er … verurteilt und bestraft sie … er ermordet sie nicht …« Amaldi wandte sich an Frese. »Der Lehrer war kein Pädophiler, oder?«
»Es gibt wirklich nichts, was darauf schließen lässt.«
»Beim Zahnarzt genauso …«
»Die Sekretärin hat ihn als fast schon sexsüchtig beschrieben …«
»Homosexuelle Neigungen?«
»Nicht einmal ansatzweise.«
»Bist du dir da sicher?«
»So sicher, wie man sich bei jemandem sein kann, den man nicht kennt, Giacomo.«
»Also war er heterosexuell?«
»Er legte Weiber flach, ja. Alles, was nicht bei drei auf dem Baum war«, gab Frese zurück.
Amaldi seufzte und schloss die Augen. »Das ergibt keinen Sinn«, murmelte er.
»Was meinst du damit?«, fragte Frese.
Vor ihnen tauchte die Stadt auf. Bauernhäuser bildeten die Vorboten jener anonymen Peripherie, die sie demnächst mit ihren gierigen, sich ständig ausbreitenden Betonmonstern verschlucken würde.
Amaldi schaute aus dem Seitenfenster. »Es ist, als ginge es nicht um sie«, sagte er.
»Wer sie?«, hakte Frese nach.
»Es ist, als ob der Mörder jemand anderen töten wollte …«
»Ich kann dir nicht folgen«, sagte Frese.
»Es kommt mir vor, als hätte der Mörder, als er Garcovich und Pileggi umbrachte … jemand ganz anderen töten wollen.«
»Wen denn?«
»Das weiß ich nicht. Aber so ist es. So muss es sein.« Amaldi schlug mit der Faust gegen das Seitenfenster. »Die Opfer passen nicht in das Täterprofil, das sich aus den Morden ergibt … und zu seinen Motiven.«
»Eins verstehe ich nicht«, sagte Frese, »warum können wir nicht einfach annehmen, dass es schlicht und ergreifend ein Verrückter war …«
»Er ist verrückt, Nicola«, unterbrach ihn Amaldi. »Aber auf seine ganz spezielle Art und Weise . Und die Opfer passen überhaupt nicht dazu …«
»Ich muss hier aussteigen«, sagte Max.
Nachdem Amaldi und Frese den Wagen abgestellt hatten, überquerten sie die Straße und nahmen einen Weg, der am Rand der Altstadt entlangführte, bis sie ein hohes weißes Gebäude erreichten. Seine Fassade aus Travertinstein wurde von regelmäßigen Fensterreihen durchbrochen, über dem Eingang war der Name der Behörde eingraviert. Seit sie Max am Zentralarchiv herausgelassen hatten, hatten die beiden kein Wort mehr miteinander gewechselt. Am Eingang zeigten sie ihre Dienstausweise vor und warteten, dass die Dame am Empfang den Mann, den sie suchten, anrief.
»Er kommt
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