Inkubus
oder der tätigen Mithilfe der Eltern. Häufig war von ihm zu hören, dass die Vorstadt sein ›Schlachtfeld‹ sei und ›eine Stadt, die selbst noch ein Kind ist‹. Der Verfasser des vorliegenden Berichts hält es für seine Pflicht, darauf hinzuweisen, dass der missionarische Eifer des Beamten Palermo, dieser Hang zur Berufung, fanatische Züge trägt, die für die gesamte Truppe gefährlich werden könnten.
Er wurde als lästig und potenziell gefährlich wie ein gutartiger Tumor angesehen, dachte Amaldi. Und stellte sich – unangenehm berührt von den verblüffenden Parallelen zu seinem eigenen Werdegang – vor, wie die Vorgesetzten auch Palermo das Leben schwergemacht haben mussten. Zweifellos hatte ihn der kalte unpersönliche Polizeiapparat mit seinen Sorgen und Nöten alleingelassen. Und vielleicht hatte Palermo sich dann im Labyrinth seiner Obsession verrannt.
Palermo war ganz klar ein Einzelgänger, von Natur aus und vielleicht auch gezwungenermaßen, weil man ihn in diese Rolle drängte, auf jeden Fall hatte er von Haus aus Probleme damit, soziale Bindungen zu knüpfen. Ob seine sexuelle Orientierung dabei eine Rolle gespielt hatte, ging aus der Akte nicht hervor. Amaldi stellte allerdings fest, dass den Beamten des Disziplinarausschusses seine Homosexualität erst seit etwa zehn Jahren bekannt war, was zumindest darauf hindeutete, dass Palermo sie lange Zeit geheim gehalten hatte. Dafür mochte es zahlreiche, überwiegend absolut nachvollziehbare Gründe geben, wenn man berücksichtigte, wie engstirnig Polizisten dachten.
Je weiter Amaldi in die komplexe Persönlichkeit Palermos eintauchte, desto mehr wurde ihm klar, dass sein Urteil über ihn zu oberflächlich gewesen war. Er hatte in ihm nichts als einen korrupten Polizisten gesehen – und er wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass dies der Wahrheit entsprach –, aber das Bild, das sich aus seinen persönlichen Akten ergab, war doch wesentlich vielschichtiger. Wieder ertappte Amaldi sich dabei, wie er Parallelen zu seinem eigenen Leben und seinen eigenen Erfahrungen zog, als ob Palermo in ungefähr das darstellte, was aus ihm hätte werden können. Palermo hatte sich von Anfang an voll und ganz in die Arbeit gestürzt. Wahrscheinlich, weil er sich damit von seinem inneren Konflikt ablenken konnte, den er so auf unbestimmte Zeit verschob. Wie für Amaldi hatte sich für Palermo die Suche nach der Wahrheit zu einem zwanghaften Drang nach Erkenntnis entwickelt. Auf diese Weise hatte er zwar bei seiner Arbeit als Polizist großartige Erfolge verbuchen können, doch die Suche nach der endgültigen Antwort hatte sein Urteil hart und unerbittlich werden lassen, hatte allmählich seiner Seele und der Welt, in der er ermittelte, die Menschlichkeit geraubt. Nach und nach wurden die Menschen für ihn zu Schachfiguren in einem abstrakten Wahrheitsspiel. Und diese Wahrheit war nur noch Ergebnis einer sterilen Berechnung.
Obwohl es inzwischen sehr kühl geworden war, saß Amaldi wie immer auf der Terrasse, über sich den klaren Sternenhimmel. Aus dem Wohnzimmer hörte er die Stimmen von Giuditta, Frese und Max, die sich unterhielten und lachten. Er sah ihre Schatten, die auf der Wand ihre Bewegungen nachzeichneten.
»Was wäre aus mir geworden, wenn ich euch nicht begegnet wäre?«, fragte er sich laut. Dann legte er die Hand auf Palermos Akte. »Und was ist nur mit dir passiert?«
Bis zu seinem achtunddreißigsten Lebensjahr hatte sich Palermo durch seine hervorragenden Ermittlerqualitäten hervorgetan und konnte im Beruf mehr Erfolge verzeichnen als jeder andere Beamte des Sittendezernats. Das sahen seine Kollegen gar nicht gern, sie betrachteten ihn als Fanatiker und trauten ihm nicht über den Weg. Seine Vorgesetzten sprachen ihm zwar die verdiente Anerkennung für seine ermittlerische Intuition aus, stuften ihn aber dennoch als möglichen Störfaktor im System ein. In ihren jährlichen Berichten versäumten sie nie, auf Palermos Hang hinzuweisen, den Dienstweg zu umgehen, auf seine charakterliche Unfähigkeit, sich bedingungslos unterzuordnen wie ein guter Soldat, und auf seine angeborene Neigung, seinen eigenen Willen durchzusetzen. Palermo fiel aus der Norm, und daher wurde er misstrauisch beäugt und beobachtet.
Palermo erfühlte seine Fälle intuitiv, hatte der Verfasser der Berichte mit diesem leicht ironischen Tonfall angemerkt, der sich durch die gesamte Akte zog. Und wenn er bei einem Fall, mit dem ein anderer Beamter betraut worden war, so
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