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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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forderte ihn Amaldi auf.
    »An jenem Abend war ich … in einem Lokal«, der Angestellte schluckte geräuschvoll, »einem Lokal nur für Männer«, beendete er seinen Satz fast tonlos.
    »Im Dover Beach «, sagte Frese.
    Der Angestellte nickte. »Die Schlüssel … ich glaube, die wurden mir im Dover Beach gestohlen … auch die Brieftasche … Aber erzählen Sie das bitte nicht meiner Frau … ich … ich bin nicht so einer, wie Sie denken …«
    »Es interessiert mich einen Scheißdreck, was du in deiner Freizeit machst«, entgegnete Frese. »Ich mag nur kein Lügengewäsch.« Damit warf er den Clubausweis für das Dover Beach auf die Bank. »Das hier gehört dir …«
    Amaldi schaute den Angestellten an, der nun mit den Tränen kämpfte. »Vielen Dank …«, sagte er.

XVII
    Amaldi hatte einen schnellen Blick in die Personalakte von Chefinspektor Ferrante Palermo geworfen. Zunächst in die offizielle Akte, auf die viele Leute Zugriff hatten, zu viele, als dass sie sonderlich ins Detail gehen oder irgendwelche geheimen Informationen enthalten konnte. Schmutzige Wäsche wurde möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewaschen.
    Aber auch diese schlichte Akte verriet Amaldi schon einiges.
    Palermo stammte aus einer wohlhabenden Familie, die ihm Amaldis Meinung nach eine wesentlich bessere Karriere als die eines Polizisten hätte ermöglichen können. Vom ersten Tag im Dienst bis zum Alter von achtunddreißig Jahren hatte Palermo sich als talentierter Ermittler erwiesen, dessen Intuition und logisches Denkvermögen weit über dem Durchschnitt lagen.
    Warum bist du dann bei der Sitte geblieben?, fragte sich Amaldi stumm.
    Warum war er nicht zur Mordkommission gewechselt? Warum hatte er nicht den Schritt getan, von dem jeder Polizist träumte?
    Amaldi nahm die Akte in die Hand, die Max aus dem geheimen Archiv des Disziplinarausschusses hatte mitgehen lassen.
    Der junge Ferrante Palermo hatte direkt nach seinem Eintritt in den Polizeidienst durch sein Verhalten Aufmerksamkeit erregt. Bei seiner Arbeit hatte er einen missionarischen Eifer an den Tag gelegt, stand in den einleitenden Zeilen.
    Aus persönlicher Erfahrung wusste Amaldi, dass dieser Begriff in ihren Kreisen nicht als Kompliment galt. Er selbst hatte in der Zeit, als man seine Aktivitäten noch »Amaldis Kreuzzug« nannte, völlig isoliert dagestanden, und auch jetzt war er eine Art Fremdkörper innerhalb des großen Polizeiapparats geblieben. Giacomo Amaldis Mission war es immer gewesen, den Mann zu finden, der seine erste Freundin wie einen Sack Müll in einem dreckigen Winkel der Altstadt hatte liegen gelassen, nachdem er ihren Körper verstümmelt und sie ermordet hatte.
    Palermos Berufung schienen Kinder zu sein. Zumindest soweit es aus dem Bericht über seine ersten Jahre im Sittendezernat hervorging.
    »Ja, du kannst Kinder gut leiden, das habe ich gemerkt«, sagte Amaldi zu sich selbst. »Und Kinder mögen dich. Sie haben keine Angst vor dir …«
    Mit stumpfsinniger Pedanterie, hier und da durchzogen von einem leisen Anflug von Ironie, hatte der Verfasser der Akte einige direkte Äußerungen Palermos festgehalten, die Amaldis Meinung nach Ausdruck einer überaus scharfen Beobachtungsgabe und äußerster Sensibilität waren. Nach Ansicht des Beamten Palermo, der Gegenstand des vorliegenden Berichts ist, sind die Basis des Zusammenlebens in den ärmsten und heruntergekommensten Vierteln der Altstadt, in denen seit jeher auf allen Ebenen Gesetzlosigkeit vorherrscht, strenge Moralvorstellungen und ein eigener, sehr rigider Ehrenkodex, auch wenn dieser nicht den üblichen Regeln entspricht. Im Gegensatz dazu – meint der betreffende Beamte nach nur vier Jahren Polizeidienst – ist die Peripherie der entscheidende Schwachpunkt der Gesellschaft. In den Vierteln der Vorstadt, wörtliches Zitat: ›schweißt die Verzweiflung nicht zusammen. Die Bewohner dieser Vororte sind die neuen Außenseiter der Gesellschaft. Arme Menschen aus allen Teilen der Welt, die sich untereinander kaum kennen.‹ Bei mehr als einer Gelegenheit trat der betreffende Beamte Palermo an seinen direkten Vorgesetzten heran und bat ihn einzugreifen. Dabei erklärte er, ihm sei klar, ›dass das dort der wunde Punkt des ganzen Slumgürtels der Stadt sei, wo man gegen Geld‹ – so immer noch seine Aussage – ›jede Menge junger Opfer finden könne, die dann auf dem sogenannten Markt der käuflichen Liebe ihre Haut zu Markte tragen müssen‹, oft auch mit dem Einverständnis

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