Innenhafen
fast rennen, um mit ihm Schritt halten zu können.
»Wendest du immer noch die gleiche Technik an wie früher?« Mit Schaudern dachte ich an das mörderische Gebräu, das Mike mir damals ein paarmal angeboten hatte.
»Welche Technik?«, fragte er fröhlich, während er einen Kaffeebecher aus einem Wandregal über einer verbeulten Spüle holte und ihn prüfend ins Licht hielt. Er schien zufrieden und griff nach der Kaffeekanne.
»Die Pi-mal-Daumen-Technik«, sagte ich grinsend. »Filter einlegen, Kaffeebüchse auf und munter in die Filtertüte reinschütten.«
»Ach, die. Du wirst es nicht glauben, aber ich zähle die Löffel jetzt ab.«
»Du zählst sie ab? Nein! Es geschehen noch Zeichen und Wunder.« Ich nahm den dampfenden Becher entgegen und blies hinein.
»Heide hat mich vor die Wahl gestellt: Entweder ich zähle oder sie trinkt nie wieder Kaffee mit mir. Was gleichbedeutend mit einsamen Frühstücken und ebenso einsamen Nächten gewesen wäre …« Er zwinkerte mir zu.
»Du hast dich erpressen lassen.« Ich schnalzte mit der Zunge. »Was für ein hartherziges Weib! Immer noch dieselbe? Diese Blonde, mit der du damals zusammen warst?«
»Ja. Ich bin auch ganz überrascht. Wir kommen wirklich gut miteinander aus. Und das, obwohl ich ihren Geburtstag vergessen habe. War aber nicht weiter schlimm. An meinen hat sie auch nicht gedacht.«
Wir ließen uns auf zwei Holzstühlen neben einer Werkbank nieder, auf der das Chaos herrschte. Mit gekonntem Schwung kippelte Mike den Stuhl gegen die Wand und überkreuzte die Füße, die wie früher in Schlangenlederstiefeln steckten, auf der Werkbank. Der Blick, mit dem er mich ansah, war freundlich und offen. »Wirklich schön, dich zu sehen«, sagte er schließlich.
Ich nickte und unterzog ihn ebenfalls einer freundlichen Begutachtung. Immer noch lang und dünn, die Haare wie graue Stahlwolle. Exorbitant große Nase. Aber er schien etwas fülliger geworden, sah nicht mehr ganz so hager aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ich lächelte still in mich hinein.
»Du trinkst ja gar nicht«, sagte er auffordernd.
»Na ja …« Misstrauisch nippte ich an dem Gebräu in meinem Becher. Und war überrascht. »Oh! Echt lecker, der Kaffee.« Ich nahm einen weiteren Schluck. »Und da sag noch mal einer, im Alter sei man nicht mehr lernfähig.«
Mike lachte. »Wie geht es dir, Toni? Ich habe gehört, du bist umgezogen?«
»Stimmt. Vor einem Jahr schon, nach Holsterhausen. Ins Erdgeschoss mit einem kleinen, abgeschlossenen Garten im Hinterhof. Wir haben zwei Katzen. Also, Max und ich. Aber wir wohnen nicht zusammen. Zwei getrennte Wohnungen direkt nebeneinander.«
»Klingt gut. Und sonst?«
»Seit dem letzten Sommer arbeite ich wieder.«
»Hey, du bist ja richtig solide geworden! Ein fast gemeinsames Nest, zwei pelzige Mitbewohner und in Brot und Arbeit …«
Ich musste lachen. »Es kommt noch schlimmer. Ich bin bei den Bullen.«
»Nee, komm! Willst du mich verarschen? Das kaufe ich dir nicht ab.«
»Doch. Im LZPD in Duisburg. Beste Innenhafenlage.« Ich grinste schon wieder. Hier neben Mike zu sitzen, Kaffee zu trinken und rumzuflachsen, tat verdammt gut. »Na ja, nicht an der eigentlichen Meile. Aber ich könnte mittags dorthin laufen, was ich gelegentlich auch tue. Die LZPD beherbergt die EDV-Schaltstelle der Bullerei. Ich mache da also eigentlich, was ich schon immer gemacht habe: Software-Einführungen, Konzeption, Organisation, Tests. Jetzt halt bei den Bullen …« Ich schnaubte belustigt durch die Nase. »Klingt schlimmer, als es ist. Software braucht’s halt überall. Und speziell die Polizei ist in dieser Hinsicht immer noch etwas – äh – rückständig, um es vorsichtig auszudrücken. Mein Job besteht unter anderem darin, eine Fahndungssoftware zu vereinheitlichen, zu vernetzten, zu schulen und mit Daten zu füttern. Jetzt allerdings habe ich Urlaub. Also Themenwechsel.«
»Fährst du nicht weg?«
Die Frage machte mich traurig, wie ich überrascht registrierte. Verlegen zuckte ich mit den Schultern. Mike bemerkte es sofort.
»Hey. Was ist los?« Er knuffe mich freundschaftlich in die Seite.
»Eigentlich nichts.« Ich pustete in meinen Kaffee. »Ich habe hart gearbeitet während der Probezeit. Zig neue Leute, denen man beweisen muss, dass man was kann – als Frau in einem technischen Beruf und sowieso. Das war anstrengend. Im Dezember dann, nachdem die Probezeit vorbei war, war ich mit Max auf Amrum. Ich hatte mir anderthalb Wochen Urlaub
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