Innenhafen
mitten auf dein Hemd, wenn du ihn gerade wickelst.«
»Zwei Kinder?«, fragte ich artig.
»Ja. Meine Tochter ist drei, der Kleine ein halbes Jahr alt.« Er kramte ein Foto aus seinem Portemonnaie und hielt es mir stolz unter die Nase. Auf seinem rechten Knie saß ein kleines Mädchen mit blonden Rattenschwänzen, schmiegte sich an ihn an und blickte neugierig zu dem properen Säugling hinüber, der, gehüllt in einen hellblauen Strampler, sicher in Papas linkem Arm lag.
Du hast sie spät bekommen, deine Kinder, dachte ich. Aber ich sagte es nicht. Denn aus Erfahrung wusste ich, dass es kein Halten mehr gab, wenn begeisterte Eltern anfingen, über ihre Blagen zu reden. Wie Hundebesitzer auch. Oder Katzenliebhaber. Oder Pferdenarren. Oder Motorradfreaks …
»Süß«, sagte ich pflichtschuldig. »Aber zurück zu Kurt. Er wollte also gerne in die Anlageberatung, durfte aber nicht. Weißt du, warum?«
»Keine Ahnung. Dazu hat er nichts erzählt. Aber wechseln wollte er spätestens dann, als ihm eine jüngere Kollegin vor die Nase gesetzt wurde. Das hat ihn ziemlich fuchtig gemacht.«
Eine Bemerkung von Ines fiel mir wieder ein. »War das die, in die er verliebt war? Typ Anne Will, um einiges jünger als er?«
»Mein Gott, ja. Du hast es vorhin doch selbst gesagt.« Matthes machte eine wegwerfende Handbewegung. »Er war doch immer irgendwie in eine verliebt, ohne es jemals ernsthaft zu versuchen. Ich habe da gar nicht mehr hingehört, wenn er mit seinen verpfuschten Frauengeschichten anfing. Die waren ohnehin zum Scheitern verurteilt.«
»Warum das?«, fragte ich.
Matthes sah mich nachdenklich an. Die tiefen Falten quer zum Haaransatz, die sich durch die Stirn pflügten, dominierten sein Gesicht. »Hättest du jemals ernsthaft in Betracht gezogen, dich mit Kurt einzulassen?«
»Himmel, nein!« Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Mit dir allerdings auch nicht, dachte ich dann. Aber das musste ich ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
»Und woran liegt das?«
Ich sah ihn nachdenklich an. Tja, woran lag das wohl? Irgendwas störte mich an der Fragestellung. Einen Moment lang dachte ich darüber nach. Dann fiel es mir auf. »Das ist die falsche Frage, finde ich«, sagte ich freundlich. »Es ist eher die Ausnahme, dass man sich in jemanden verliebt. Also sollte man überlegen, warum jemand dieses Gefühl der Verliebtheit in einem auslösen kann, nicht jedoch, warum jemand das nicht tut.« Ich grinste. »Aber bei Kurt? Zu viel Gejammere für meinen Geschmack, wenn du schon fragst.«
»Siehst du? Ein Jammerlappen. Seltsamerweise hat er sich immer in starke, geradlinige Frauen verguckt. Solche, die ohnehin nicht erreichbar waren für ihn. Das hatte Prinzip.«
Auf mich als Teenager traf diese Beschreibung nicht gerade zu. Mit Schaudern dachte ich daran, was ich mir von Friedrich Worschek alles hatte bieten lassen. So viel zum Thema stark und geradlinig. Obwohl: Ich hatte aus der Geschichte gelernt. Aus dem Friedrich-Desaster, meine ich. Und deshalb stimmte es vermutlich doch. Denn Kurt, fiel mir jetzt ein, hatte mich auf seine merkwürdige Kurti-Art erst umworben, als ich mich von Friedrich endlich losgeeist hatte. Irgendwann kurz vor oder kurz nach dem Abitur. Also nickte ich bestätigend.
Eine Weile schwiegen wir.
»Kennst du Kurts Frau?«, fragte ich schließlich.
»Die Mutter von Bettina?« Matthes verzog abschätzig das Gesicht. »Ähnlicher Fall, und doch noch mal anders. Warum die sich mit ihm eingelassen hat, weiß kein Mensch. Silke wollte eigentlich was Repräsentatives. Jemanden, der es zu was bringt, gesellschaftlich betrachtet. Da war sie mit Kurt ziemlich falsch bedient. Ich hab mal auf einem Fest mitbekommen, wie sie ihn wüst beschimpft hat. Loser, Versager, Schlappschwanz … War keine schöne Szene und soll kein Einzelfall gewesen sein.«
»Warum hat sie ihr Kind nicht mitgenommen, als sie gegangen ist?«
Matthes sah mich nachdenklich an. Augenblicklich vertieften sich die Falten auf seiner Stirn. »Nun, ich habe vorhin doch gesagt, dass wir uns alle verändert haben. Und auch, wenn sich diese Veränderung nur in Bezug auf eine bestimmte Sache vollzieht, kann sie doch gravierend sein.«
Fragend legte ich den Kopf schief und hob eine Augenbraue.
»Kurt hat damals das erste Mal so etwas wie Stärke gezeigt. Er hat um Bettina gekämpft vor Gericht. Und zwar erfolgreich. Dabei war es vor sechzehn Jahren noch sehr unüblich, dass ein Vater das Sorgerecht bekommt.«
»Es ist auch heute immer
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