Innenhafen
ist gemein«, beschwerte sie sich. Ihr Kopf wackelte bedenklich.
»Schütte, hilf mir mal schnell, sie zum Sofa zu bugsieren«, rief Max. »Die kippt uns hier gleich vom Barhocker.«
Wo er recht hatte, hatte er recht. Ich sah, dass Bea schwankte und sich an meinem Stehtisch festklammerte, und griff ihr schnell unter den Ellenbogen. Da half wohl auch kein Espresso mehr.
Eine halbe Stunde später hievten wir Bea ins wartende Taxi. Sie wehrte sich, forderte Wein als Wegzehrung und kicherte die ganze Zeit über wie ein Schulmädchen.
»So habe ich sie echt noch nie erlebt«, sagte Schütte staunend, als er sich von uns verabschiedete. »Das letzte Glas muss wohl schlecht gewesen sein.«
Fröhlich winkten wir dem Taxi hinterher.
»Absacker!«, verlangte Max.
Wir ließen meine Küche Küche sein, tranken noch ein Glas auf der Couch und fielen schließlich ins Bett, wo wir eng aneinandergeschmiegt einschliefen.
* * *
Wir nahmen gerade ein spätes Frühstück zu uns, als mein Handy klingelte. Ich ließ es läuten. Telefonieren wollte ich jetzt nicht. Ich brauchte erst noch mehr Kaffee. Und noch ein Brötchen. Und Aspirin. Am besten zwei. Wenn es mir schon so geht, wird sich Bea mehr als bescheiden fühlen, dachte ich. Und lachte, weil ich es lustig fand. Nicht, weil Bea so betrunken gewesen war, sondern weil der Abend insgesamt mir verdammt gutgetan hatte, und Max ebenfalls.
»Die Sünden wiegen schwer, doch begehen kann man nie genug …« Ich massierte mir die pochenden Schläfen.
»… egal, wer oben liegt«, beendete Max das Zitat aus dem Song von Element of Crime. »Apropos.« Er grinste mich mit jungenhaftem Charme an. »Noch ein bisschen kuscheln?«
Mittags hörte ich die Mailbox ab. Und staunte nicht schlecht, als ich hörte, wer der Anrufer vom Vormittag gewesen war.
»Ich muss noch mal weg, es ist wichtig«, informierte ich Max, der bereits wieder an seinem Schreibtisch saß. »Es geht um Kurt. Du bist ja sowieso schon wieder am Arbeiten.«
»Es tut mir leid«, sagte Max resigniert. »Aber ich muss wirklich …«
»… für morgen was fertig machen, bevor du dann wieder in den Norden entschwindest«, beendete ich den Satz. »Ich weiß noch nicht, wie lange es dauert.« Ich drückte ihm einen Kuss in den Nacken und ging wieder zurück in meine Wohnung.
Ich nahm das Telefon und wählte.
»Hol mich ab«, fiel ich mit der Tür ins Haus, als ich Volker an der Strippe hatte. »Ich bin noch nicht fahrtüchtig.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl!« Sein Tonfall triefte vor Ironie. Eine Dreiviertelstunde später war er da.
»Oha«, sagte er, als ich zu ihm in den Wagen stieg. »Scheint eine lange, fröhliche Nacht gewesen zu sein.«
»Und ich habe es noch ganz gut getroffen, glaube ich. Ich möchte nicht wissen, wie es unserer Kommissarin heute früh ergangen ist. Und jetzt fahr los.«
»Dein Wunsch ist mir –«
»Befehl!«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Du wiederholst dich.«
* * *
Irina Kruzsca hatte breite, slawische Wangenknochen, dunkle, mandelförmige Augen und üppige Lippen. Einen kräftigen Knochenbau, wie ihn Landarbeiterinnen häufig haben. Sie war nicht mehr ganz jung. Eine Frau in den besten Jahren. Sie wäre sicherlich schön gewesen, zumindest sehr hübsch. Eine lange Wunde zog sich jedoch quer über ihre rechte Wange. Es sah so aus, als sei der Schnitt noch frisch und, wenn überhaupt, nur sehr schlampig genäht worden, denn die Wundränder waren entzündet und aufgeworfen, und von den Stichen war so gut wie nichts mehr zu sehen.
»Du liebe Güte!«, entrutschte es mir. »Wer hat Ihnen das denn angetan?«
Sie fuhr mit der Hand zu ihrem Gesicht und bedeckte die Narbe. »Es ist nichts«, wehrte sie ab.
»Nichts sieht anders aus«, sagte Volker trocken.
»Es ist nicht wichtig. Wirklich nicht.«
»Sie kannten Kurt«, wechselte ich das Thema. »Sonst hätten Sie sich nicht doch noch bei mir gemeldet. Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
»Ich wurde von der Ruhrcity-Bank öfter mal mit Übersetzungsarbeiten beauftragt«, begann sie. »Und dann auch zum Dolmetschen zu Kundengesprächen hinzugezogen. Russisch. Ich komme aus der Ukraine. Zurzeit ist Russisch sehr gefragt. Ebenso wie Chinesisch.«
»Sie sprechen sehr gut Deutsch. Seit wann sind Sie hier?«, mischte sich Volker wieder ein.
Sie lächelte flüchtig. »Ich bin vor drei Jahren nach Deutschland gekommen. Deutsch konnte ich aber schon vorher sehr gut. Ich habe nach dem Studium ein paar Jahre lang in
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