Innenhafen
musste, und nicht mehr wissen wollte, wer ihren Vater um die Ecke gebracht hatte, fand ich äußerst merkwürdig.
Freu dich doch für sie, dachte ich. Ist doch gut, wenn sie wieder auflebt. Zwar ein bisschen komisch, aber was soll’s. Ich würde auf jeden Fall weitermachen, ob Bettina das nun wollte oder nicht.
* * *
Den Abend verbrachte ich allein in meiner Wohnung. Max war zwar zurück, saß aber bereits wieder am Schreibtisch. Bös war ich nicht darüber. Ein Abend mit Max auf der Couch wäre mir heute nicht angenehm gewesen. Ich brauchte noch etwas Abstand.
Stattdessen notierte ich in gewohnter Manier Stichpunkte auf kleine Zettelchen und schnitt sie aus. Schob sie hin und her, verband die losen Elemente miteinander und notierte dabei gedanklich, was ich wusste.
Mittlerweile war das eine ganze Menge: Ich wusste, wo Kurt sich kurz vor seinem Tod aufgehalten hatte. Ich wusste, dass er heiraten und sich ein neues Nest bauen wollte, ein sündhaft teures. Ich wusste, dass er das bar bezahlen wollte, ganz ohne irgendeinen Kredit. Und dass er ein paar Leute beobachtet hatte, darunter auch seinen Chef. Ich wusste, halt, nein, ich vermutete, dass diese Männer in irgendwelche dubiosen Geschäfte verstrickt waren. Dass sie mit stillen Teilhaberschaften eine Firma unterhielten. Aber warum?
Ich war mir inzwischen ziemlich sicher, dass Kurt die honorigen Herren mit seinem Wissen erpresst haben musste. Oder zumindest einen von ihnen, den Behrends zum Beispiel. Hatten sie ihn deshalb umgebracht?
Erpressung. Aber womit? Ich fuhr den PC hoch und rief die Seite der Duisburger Stadtverwaltung auf. Holger Schönlein – so stand es dort im Who is Who zu lesen – machte sich seit mehr als zehn Jahren als Leiter des Dezernats für Stadtentwicklung verdient, wie Bettina es gesagt hatte. Er war Parteimitglied der CDU und von Haus aus Architekt.
Ich öffnete die eingescannte Lageskizze, die wir unter Kurts Papieren gefunden hatten. Der rote Kreis markierte tatsächlich das östliche Ende des Innenhafens. Auf der Skizze war es noch ein Stück Brachland, inzwischen stand darauf ein Neubau, der in Kürze ein Logistik- und Dienstleistungs-Besucherzentrum sowie ein neues Museum beherbergen würde. Das LogPort-Museum. Noch nie davon gehört.
Kurt musste diese spezielle Bautätigkeit am Duisburger Innenhafen näher ins Visier genommen haben. Sein Kringel auf dem Lageplan umfasste allerdings das gesamte Ende des Hafenbeckens. Der Neubau, den ich heute bewundert hatte, endete ungefähr in der Mitte. Und jetzt?
Ich suchte im Netz nach verschiedenen Stichworten: »Innenhafen Duisburg«, »Hafen Duisburg«, »Strukturwandel Duisburg« und »Bauprojekte am Innenhafen Duisburg«. Was ich fand, waren etliche sehr informative Internet-Plattformen. Zwei Stunden später hatte ich eine Menge gelesen und versuchte, die Fakten zu sortieren und auf die wichtigen inhaltlichen Punkte zu reduzieren.
Der Duisburger Hafen, heute als größter Binnenhafen Europas bekannt, bestand eigentlich aus ehemals zwei Hafenanlagen: dem Ruhrorter Hafen, den man erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts gebaut hatte, und dem Duisburger Hafen, der heute Innenhafen hieß. Der allerdings war bereits im 12. Jahrhundert bedeutungslos geworden, als der Rhein nach einer Hochwasserkatastrophe sein Bett von der Stadt weg verlegt hatte. Erst im 19. Jahrhundert hatte man den Innenhafen mit Hilfe eines langen Kanals wieder mit dem Rhein verbunden. Irgendwann war Ruhrort, und damit auch der Ruhrorter Hafen, eingemeindet worden. Allerdings trat Duisburg die Hafenanlagen an die eigens zu diesem Zweck gegründete Duisburg-Ruhrorter Hafenverwaltung ab. Ich runzelte die Stirn. Eine Art von Privatisierung? Hm. Also weiter.
Erst Freihafen im Rahmen der Montanunion, dann Umschlagplatz für Holzkohle und Getreide, und schließlich der Strukturwandel im Ruhrgebiet. Stückgut wurde zunehmend über die Straße transportiert. Der Duisburg-Ruhrorter Hafen musste sich also für den Umschlag von Containergut fitmachen, wenn er im Rennen bleiben wollte – was ihm auch bestens gelang. Damit war der Innenhafen jedoch endgültig raus. Als Anlaufstelle für Containerschiffe war er definitiv nicht geeignet. Mitte der neunziger Jahre wurde er darum Bestandteil eines IBA-Projektes. IBA? Internationale Bauausstellung. Arbeiten, Wohnen, Kultur und Freizeit, darum ging es. Ein Architekturwettbewerb für die Neugestaltung der Duisburger City wurde ausgeschrieben, Preisträger waren das
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