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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
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Rastplatztische. Sind die überhaupt aus Granit? Egal. Auf jeden Fall hart. Ihr Freund hatte den Wagen direkt daneben geparkt, und die Detonation hat die Sitzgruppe in kleine Stücke gerissen. Hätte ihn ein größerer Brocken direkt von hinten getroffen, wäre leicht ein Querschnitt draus geworden. Ich sage ja, er hat mächtig Glück gehabt.«
    »Der Wagen ist also explodiert, als er stand?« Ich fühlte mich wie betäubt, als mir die Tragweite dieser Aussage bewusst wurde.
    »Genau. Näheres wird die Polizei Ihnen sagen können. Sie ist aber noch vor Ort.«
    »Warum liegt er auf der Intensivstation, wenn er nicht schwer verletzt ist?«
    »Aber er ist schwer verletzt! Immerhin hat er eine leichte Schädelfraktur. Es kann immer noch zu unerwarteten Hirnblutungen kommen, oder zu Schwellungen. Im Moment halten wir ihn im künstlichen Koma.«
    Mir wurde schlecht. »Kann ich zu ihm?« Meine Stimme klang genauso zittrig, wie ich mich fühlte.
    »Kurz, ja. Aber erwarten Sie nicht zu viel. Er wird nicht wahrnehmen, dass Sie da sind.«
    Der Raum wirkte ebenso nüchtern und septisch wie die Schwester, die mich dorthin begleitet hatte. Mein Herz schlug bleiern und schwer, während ich meine Augen durch den kleinen Raum wandern ließ. Alles hell, Wände, Nachttisch, Stuhl, Bett. Weiß auch die Laken. Eine Gestalt darin, seltsam klein. Weißer Verband am Kopf, dort, wo normalerweise Haare sein sollten. Das da war nicht Max. Nicht so klein. Ein Kind, das lag hier. Nur ein Irrtum. Max war das nicht. Alles nur eine dumme Verwechslung. Mir wurde schwindelig. Ich tastete nach der Kante des Stuhles und ließ mich darauf fallen, schwer wie das Blei in meinem Herzen. Mein Blick blieb an dem ewigen Dreitagebart hängen, der mittlerweile mindestens wie ein Sechstagebart wirkte, grau und langstoppelig. Nein. Kein Kind. Max! Mir wurde übel. Sah so einer aus, der Glück gehabt hatte?
    Ich starrte auf die Monitore, die seinen Schlaf überwachten. Lauschte den gleichmäßigen Atemzügen, dem auf und ab der Beatmungsmaschine. Ab und zu verließ ein Laut seine Kehle, eine Art Ächzen, das ganz tief in mir etwas berührte, bohrend und schmerzhaft. Ich hielt seine Hand, die breite, zuverlässige, hielt sie ganz vorsichtig, um die Kanülen nicht zu berühren, die seine Venen mit dem Schlauch und dem Tropf darüber verbanden und mit den Stoffen versorgten, die lebenswichtig für ihn waren. Für uns. Er sah eingefallen aus wie ein Greis, und hätte der Arzt mir nicht versichert, dass seine Zähne unversehrt waren, ich hätte geschworen, er hätte sie verloren. Ich sah in sein seltsam fremdes Gesicht, lauschte seinem Atem und beobachtete, wie sich mit der elektrolythaltigen Lösung, die sich aus dem Tropf in dem kleinen Vorbecken des Schlauches sammelte, ein stetes Rinnsal den Weg in seine Venen bahnte.
    Bitte, dachte ich. Bitte, lass ihn nicht sterben. Das ist doch mein Max! Der Mann, den ich liebe. Mit dem ich lebe, für den ich da sein will! Ich begriff mit einem Mal, warum manche Menschen in extremen Situationen plötzlich gläubig wurden. Denn hätte ich auch nur den Funken eines Glaubens an ein übermächtiges Wesen verspürt, ich hätte voller Inbrunst gebetet. Es angefleht, dass es Max verschonte. Dass alles wieder gut würde. So aber klammerte ich mich an das, was der Arzt mir gesagt hatte.  Er hat Glück gehabt … Glück gehabt … Glück gehabt …  Klammerte mich daran und fühlte, wie die Wut in mir wuchs. Und wuchs. Und wuchs. Denn Autos explodierten nicht einfach, und schon gar nicht im Stehen. Und Max war mit meinem Auto gefahren. Mit  meinem  beschissenen Auto. Weil seines in der Werkstatt war. Dass das nun nach Kurtis Auto auch noch in die Luft flog, war mit Sicherheit kein Zufall.
    * * *
    Bea nahm die Brille ab und massierte sich die Nasenwurzel. »Ich schätze, du bist mir eine Erklärung schuldig.«
    »Dito«, sagte ich böse. »Du hättest mir verdammt noch mal sagen müssen, dass da eine Autobombe im Spiel war bei Kurts Unfall!«
    »Heraushalten solltest du dich, das hatte ich dir klar und deutlich gesagt!« Bea war jetzt genauso sauer wie ich. »Aber du bist ja so ein verdammter Sturkopf. Natürlich machst du weiter. Max hätte dabei draufgehen können!«
    Ich sah Max in seinem Krankenhausbett vor mir, bleich und eingefallen, mit diesem ewigen Dreitagebart im Gesicht. Ich hätte heulen mögen. »Das ist nicht fair«, brüllte ich stattdessen. »Das ist wirklich nicht fair!« Ich biss die Zähne zusammen, bis sie

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