Innere Werte
als sie zunächst befürchtet hatte. Ihr Sohn war immer ein pflegeleichtes Kind gewesen und hatte nie Probleme gemacht. Letztendlich, urteilte sie, hatte das Schicksal es gut mit ihr gemeint. Ihr Leben lief in geordneten Bahnen, in dem sie jedes Detail plante und nach ihrem Willen regelte. Sie war frei und zufrieden. Ihr Job verlieh ihr eine gewisse Machtstellung, die sie sehr genoss. Und sie würde einiges dafür tun, dass das so blieb.
Schnell lief sie die Parkwege entlang, ihrem Treffpunkt entgegen. Steffen und sie versuchten so wenig wie möglich miteinander zu telefonieren. Wenn es etwas zu besprechen gab, trafen sie sich immer hier am gleichen Ort im Park.
In einiger Entfernung konnte Anja das prachtvolle, direkt am Rhein gelegene Barockschloss sehen, vor dem im Sommer die große Fontäne in die Höhe schoss. Ein herrlicher Anblick, den sie oft beim Joggen genoss und der ihr immer ein Urlaubs-Feeling vermittelte. Die Nähe zu diesem wundervollen Park war für den Kauf ihres Hauses in der Biebricher Allee mit ausschlaggebend gewesen.
Anja versuchte sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn die ganze Sache aufflog. Nicht auszudenken. Schnell schob sie den Gedanken fort. Sie wusste nur eins, sie musste Steffen überreden, das Geschäft vorerst ruhen zu lassen. Dann würde sich alles wieder beruhigen und sie würde ihrem Job wie gewohnt nachgehen können.
Jetzt bog sie in die kleine Ostallee ein und überquerte kurz darauf den Mosbach. Ein von Kastanien gesäumter Weg schloss sich an und endete am künstlich angelegten Mosburgweiher. Von hier konnte man einen besonders malerischen Blick auf die Mosburg werfen, die in völligem Kontrast zum Schloss stand. Mit Ringmauer und Ecktürmen wirkte sie wie eine mittelalterliche Burg. Anja mochte dieses Bauwerk. Irgendwie fühlte sie sich damit auf besondere Weise verbunden. Denn sie wusste, dass beim Bau Abbruchmaterial der mittelalterlichen Liebfrauenkirche in Mainz verwendet worden war. Benötigte Baustoffe wurden von irgendwoher irgendwie besorgt. Was sich anbot oder zur Verfügung stand, fand Verwendung. Dies schuf für sie eine Verbindung zu ihrer eigenen Tätigkeit, mit dem Unterschied, dass es sich bei ihr nicht um Immobilien handelte.
So beeindruckend wie zu anderen Jahreszeiten war das sich bietende Bild jetzt im Winter nicht. Alles schien trist, kahl und braun. Die Einzigen, die noch wie grüne Farbtupfer wirkten, waren die Halsband- und Alexandersittiche. Diese Papageien bevölkerten schon mehrere Jahrzehnte den Park. Selbst heute an einem so kalten Tag saßen sie in den Bäumen. Die winterlichen Temperaturen schienen den grünen Exoten nichts auszumachen. Lautstark machten sie sich bemerkbar und waren in den laubfreien Bäumen besonders gut zu beobachten. Doch auch wenn Anja sonst immer nach ihnen Ausschau hielt, hatte sie heute kein Auge dafür.
Schon von Weitem sah sie Steffens große, hagere Gestalt in der Nähe der Trauerweiden. Ungeduldig ging er hin und her. Als er sie erblickte, kam er ihr entgegen.
»Da bist du ja endlich«, begrüßte er sie vorwurfsvoll. »Das mit deiner Unpünktlichkeit solltest du mal in den Griff bekommen. Das kann doch nicht so schwierig sein.«
»Jeder hat so seine Macke, oder?« Sie versuchte ihn mit einem verführerischen Lächeln milde zu stimmen. Doch den dazu passenden Ton traf sie nicht. Sie klang gereizt.
»Also, was willst du?«, fragte Steffen und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, der unmissverständlich klar machte, dass seine Zeit begrenzt und kostbar war.
Anja berichtete ihm von dem erneuten Besuch Katrin Buhrs.
»Wenn sie dich noch weiter nervt, sagst du ihr eben, dass du ein Verhältnis mit Bielmann hattest, dann bohrt sie auch nicht weiter.«
»Das erzählt sie doch sofort der Polizei. Dann bin ich womöglich gleich verdächtig.«
»Denen kannst du ja sagen, dass du das nur erfunden hast, um die Buhr loszuwerden, weil sie dich bedrängt hat.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es kann dir gar nichts passieren, glaub mir.«
Anja dachte einen Moment darüber nach und fand die Variante letztlich gar nicht so dumm. Vielleicht würde sich Bielmanns Freundin damit zufriedengeben.
Als sie die weiteren Geschäfte mit Steffen besprechen wollte, winkte der nur ab.
»Ich hab dir schon am Telefon gesagt, dass wir weitermachen.«
»Lass doch ein bisschen Zeit vergehen«, bat Anja. »Dann würde ich mich sicherer fühlen. Es muss doch auch in deinem Interesse sein.«
Steffen musterte sie
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