Innerste Sphaere
Station zurückkehren. Denn ohne dich gehe ich nicht. Also mach mit, nur dieses eine Mal.«
Da er mich gerade vor einem grausigen unbekannten Schicksal durch die Hände der gruseligsten Leute gerettet hatte, die mir je begegnet waren, beschloss ich, nicht zu widersprechen. Vor allem aber weil ich, trotz meines gegenteiligen Schwurs, nicht wollte, dass er starb. Nach dem zu urteilen, was er über seine Wunde gesagt hatte, konnte ich ihm ja vielleicht entkommen, ohne überhaupt in die Station hineinzugehen. Aber ich wollte ihm erst einmal helfen, sich in Sicherheit zu bringen. »Geh voran.«
»Danke.«
Malachi legte ein mörderisches Tempo vor und ich zwang mich, den stechenden Schmerz meiner Verletzung zu ignorieren, während ich hinter ihm her durch die Gassen und Straßen der Stadt spurtete. Wieder versuchte ich mir auffällige Stellen, Landmarken einzuprägen … und wieder war ich völlig orientierungslos. Nachrund einer Stunde, so schätzte ich, kamen Malachis lange stetige Schritte ins Stocken. Er ließ sich auf eine Treppe vor einem dunklen Gebäude mit geschlossenen Fensterläden sinken. »Ich muss mich ausruhen«, murmelte er, »nur ein bisschen.«
»Klar«, keuchte ich, als ich mich neben ihn setzte, »wie du willst.«
Ich wusste nicht, ob ich noch lange hätte mithalten können. Bisher war er immer vor mir her gerannt und jetzt konnte ich ihn zum ersten Mal, seit wir aufgebrochen waren, in Ruhe ansehen. Er gefiel mir gar nicht. Seine hellbraune Haut hob sich schrecklich blass von seinem schwarzen Haar ab. Und er zitterte.
»Wie geht’s?«, fragte er. Seine Zähne klapperten.
»Besser als dir, würde ich sagen.« Zögernd streckte ich die Hand aus. Er reagierte nicht, als meine Finger über seine Wange strichen. Sie war klamm und kalt; das hatte ich befürchtet. Er war in miserabler Verfassung und ich hatte keine Ahnung, wie weit es noch zur Station war. Wenn er zusammenbrach, hätte ich keine Chance, ihn dorthin zu schaffen.
»Ist Raphael Arzt?«
Er nickte. »Sozusagen. Er wird dich heilen. Das fällt ihm nicht schwer.«
»Und dich?« Er brauchte dringender einen Arzt als ich.
»Keine Ahnung«, grummelte er. »Wenn es schon so weit ist, keine Ahnung.«
Das war nicht, was ich hören wollte. Ich stand auf. »Gehen wir. Jetzt.«
Er rührte sich nicht. »Ich muss mich ausruhen. Nur ein bisschen«, wiederholte er.
»Kommt nicht infrage. Du hast dich genug ausgeruht. Los. Steh auf.« Ich nahm seine Hand und zog. Er ließ es zu, dass ich ihn wieder auf die Beine brachte. Dann legte ich seinen Arm um meine Schulter und fasste ihn um die Taille. »Du musst mir helfen, sonst kommen wir nie an. Komm schon.
Jetzt.
« Er stützte sich auf mich und wir setzten uns in Bewegung. »Du musst mir die Richtung sagen.«
Viel langsamer als vorher schleppten wir uns eine Hauptstraße entlang. Malachi gab mir erst unentwegt Anweisungen, wurde aberim Lauf der Zeit immer ruhiger. Allmählich hatte er Probleme, seine Füße vom Boden zu kriegen.
»Taub«, flüsterte er, schloss die Augen und legte seinen Kopf auf meinen. Einen Moment standen wir so da und mir dämmerte, dass ich noch nie freiwillig einem Mann so nah gekommen war. Malachi schien es zufrieden, so dazustehen, mich zu umarmen, sich an mich zu lehnen, aber es lag auf der Hand, dass er sich nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte.
»Wie weit ist es noch bis zur Station?«
»Nicht weit. Aber ich glaube, ich schaffe es nicht.«
Wir standen direkt vor einem Wohnhaus und das brachte mich auf eine Idee. Ich mochte ja stark sein, aber nicht stark genug, um Malachi zu tragen, der sich anfühlte wie zweihundert Pfund Muskelmasse pur. »Hör zu. Ich werde dich hier lassen und du sagst mir, wie ich zur Station komme. Ist das machbar?«
»Nein. Du bleibst bei mir.« Offensichtlich wollte er einen Befehlston anschlagen, aber seine Stimme war matt und schmerzerfüllt. Das ruinierte so ziemlich die Wirkung.
»Tut mir leid, aber da irrst du dich. Ohne dich bin ich schneller, also keine Widerrede. Gibt es in diesem Gebäude leere Wohnungen?«
»In jedem Gebäude«, sagte er resigniert.
»Gut, dann suchen wir eine.« Ich musste ihn praktisch durch die Tür schleppen. Er versuchte zu gehen, aber seine Beine gaben unter ihm nach. Auch sein Arm um meine Schulter war erschlafft, als wäre er ebenfalls taub geworden.
Der Flur war von den allgegenwärtigen Gaslaternen matt erleuchtet, aber das Licht reichte, um den großen pelzigen Schimmelgebilden auszuweichen,
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