Innerste Sphaere
meinem Tod hatte ich nicht mehr in den Spiegel geschaut. »Was meinst du damit?«
»Ach so. Ist es immer so wirr? Wir müssen es bändigen, bevor wir aufbrechen. So kann man dich allzu leicht an den Haaren packen.«
Ich beäugte ihre ebenholzschwarze Mähne. »Und dich nicht?«
Ana lächelte. »Kann sein. Aber wer es versucht, verliert seine Hand.«
In diesem Moment beschloss ich, Ana zu mögen. Ich erwiderte ihr Lächeln. »Vielleicht kannst du mir beibringen, wie das geht.«
Ana schüttelte den Kopf, als sie zum Fußende ihres Feldbetts ging und eine Truhe öffnete, die mit komplizierten Schnitzereien verziert war. Sie sahen chinesisch aus. Oder japanisch. Jedenfalls asiatisch. »Malachi hat gesagt, nur Distanzwaffen.«
»Was heißt das?«
»Es heißt, dass er nicht möchte, dass irgendwer so nah an dich herankommt, dass du ihm die Hände abhacken müsstest. Under möchte auch nicht, dass du dich versehentlich selbst verstümmelst.«
Mir fiel ein, wie ich mir mit Laceys Krummsäbel beinah das Bein abgehackt hätte. »Da ist wohl jeder Widerspruch zwecklos.«
»Bei Malachi beißt man oft auf Granit. Na bitte!« Ana schwenkte eine massive Drahtbürste. Sie ging um mich herum und ich drehte mich – nur niemandem den Rücken zukehren. Ana sah mich nachdenklich an. »Das ist nur eine Bürste, Schätzchen.«
Ich zuckte schuldbewusst die Achseln. »Gewohnheit.«
Ana zog einen Stuhl von der Wand heran. »Setzen.«
Diesmal gehorchte ich und betrachtete ein großes Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Aus der Ferne ergaben die chaotischen Pinselstriche ein Bild; das Gesicht eines Asiaten, gefährlich und gutaussehend, sah mich an. Ana folgte meinem Blick.
»Takeshi«, sagte sie leise und begann ein Büschel meines Haars von unten her zu bearbeiten. »Er hat uns das meiste, was wir können, beigebracht.« Ihre Stimme klang seltsam heiser.
Mein Blick wanderte wieder zu der Truhe. »Sind das japanische Schriftzeichen?«
Ana lachte, aber es klang nicht fröhlich. »Malachi hat gesagt, dass dir nichts entgeht. Ja, das stimmt. Und ja, die Truhe hat Takeshi gehört.«
Die Trauer in ihrer Stimme und die Vergangenheitsform reichten, um mich verstummen zu lassen. Schweigend saß ich da, während sie die Knoten aus meinem Haar bürstete und die schwerkraftresistenten Locken in weiche Wellen verwandelte.
»Na«, sagte sie, »verrätst du mir nun, was du mit Malachi angestellt hast?«
Ich schloss die Augen und hoffte, dass ich nicht rot wurde bei dem Gedanken daran, was ich alles mit Malachi angestellt hatte. Ich fragte mich, auf was sie genau anspielte.
Ich schluckte. »Keine Ahnung, wovon du redest.«
Ana bürstete weiter, ihre Finger teilten geschickt meine Haare auf und widmeten sich systematisch jedem einzelnen Abschnitt. Falls ihr meine Verlegenheit auffiel, sagte sie nichts dazu.
»Er ist nicht mehr der Alte. Malachi ist der berechnendste Typ, den ich kenne. Aber wenn’s um dich geht, ist er anders, als wüsste er nicht, woran er ist.«
»Wahrscheinlich weil es ihm darum geht, dass ich aus dieser Stadt verschwinde und ihm nicht mehr auf die Nerven gehe.« Ob wir nun Friseur spielten oder nicht, das Thema wollte ich nicht erörtern.
»
Mmm-hmm.
« Die Skepsis war unüberhörbar. Gnädigerweise wechselte sie das Thema. »Bist du schon mal an einer Waffe ausgebildet worden?«
Ich stöhnte. »Warum fragen das die Leute ständig? Ich bin Schülerin. Das heißt, ich war. Vermutlich bin ich jetzt gar nichts. Eine ›Ausbildung an der Waffe‹ hab ich nicht genossen. Aber ich kann mich ganz gut verteidigen.«
»Mal sehen. Deshalb will Malachi, dass du mit Waffen trainierst, die den Angreifer auf Distanz halten. Faustschläge sind schlimm genug, aber Mazikinbisse sind noch schlimmer, und wenn wir bis in die Harag-Zone müssen, schaffen wir es wohl kaum rechtzeitig zur Station, damit Raphael uns helfen kann. Also wirst du lernen, den Bō zu führen. Vielleicht auch Messerwerfen. Kommt drauf an, wie gut du bist, denn wir haben nicht viel Zeit, es dir beizubringen, wenn er morgen aufbrechen will.«
Sie begann, meine Haare zu flechten. »Halt still. Ich komm sonst kaum dazu, ein Mädchen zu frisieren. Da fühle ich mich selbst wie ein Teenager. Verdirb mir das nicht.«
Ich unterdrückte ein Kichern. Nicht dass ich in dem Bereich besonders viel Erfahrung hatte, aber das war wirklich die verrückteste Pyjamaparty, die ich je erlebt hatte.
Erst flechten wir uns gegenseitig die Haare, dann gehen wir mit allerlei
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