Innerste Sphaere
verkrampft. »Ich glaube, Malachi ist hier fast fertig. Ich weiß nicht, wann genau es so weit ist, aber ich werde es wohl mitbekommen, wenn er gar nichts mehr isst.« Sie reckte die Schultern und zog mit geübtem Griff ihren Pferdeschwanz fest. »Tja, ich bin jedenfalls am Verhungern. Kommst du mit in den Speisesaal?«
In meinem Hirn rotierten noch die tausend Fragen, die ich gern gestellt hätte, aber ein Blick auf Ana verriet mir, dass das Gespräch vorbei war. Sie ging mit energischen Schritten voran und ich biss mir auf die Zunge, als ich ihr den Korridor hinunter folgte.
Der »Speisesaal« war genau das, was ich mir vorgestellt hatte, und sah ziemlich ähnlich aus wie der Lebensmittelladen, in dem ich gewesen war. Unappetitlich war noch eine freundliche Bezeichnung dafür. Ana holte sich dies und das, darunter ein elendes Stück Käse, eine schwarze Banane, ein hartes Brötchen und eine Suppe, die – jedenfalls für mich – nach Käsefüßen roch. Aber das behielt ich für mich.
Andere Wächter saßen an langen Holztischen, Berge von Lebensmitteln vor sich. Ihre leuchtenden Augen richteten sich auf uns, als wir den Saal durchquerten. Es war ein bisschen wie an der Warwick Highschool, nur dass die anderen Schüler über zwei Meter groß und schwer bewaffnet waren.
Ana nahm ein Messer zur Hand und kratzte den Schimmel von dem Käse. Ich saß ihr gegenüber. Meine Gedanken überschlugen sich. Wenn ich die Stadt nicht innerhalb von ein paar Wochen verließ, würde ich verhungern. Malachi hatte das nicht erwähnt, aber es erklärte, warum er so darauf versessen war, mich hinauszubefördern. Tja, ich hatte wirklich nichts dagegen zu gehen, solange ich Nadia mitnehmen konnte. Vielleicht würde er ja dann auch bald kommen. Ich dachte an die Sehnsucht in seiner Stimme, als er von dem Land jenseits der Stadtmauern sprach. Ich freute mich, dass er vielleicht bald hier rauskam, und sinnierte eine Weile über das Lächeln, das dann vielleicht sein schroffes, trotziges Gesicht verwandeln würde.
Ana aß schnell und wortlos. Seit unserem Gespräch über das Essen wirkte sie bedrückt – bestimmt wünschte sie sich, sie hätte weniger Appetit. Im Saal wurde es still, als Ana aufstand und ihre Reste wegwarf. Sie tat so, als würde sie es nicht bemerken. Als wir in den Korridor traten, wurde drinnen plötzlich wieder gelacht und gescherzt, dass die Wände bebten.
Ich warf Ana einen Blick zu. »Liegt es daran, dass du sie nervös machst oder dass sie dich scharf finden?«
»Beides. Es hat schon andere vor mir gegeben, aber ich war seit Langem die erste Frau hier. Jedenfalls glaubten die meisten Kerle hier, sie müssten etwas versuchen, was sie dann bitter bereuten. Anfangs mussten mich Takeshi und Malachi beschützen. Sie ließen mich nie irgendwo allein hingehen. Aber im Grunde lassen mich die anderen Wächter erst in Ruhe, seit ich gelernt habe, selbst auf mich aufzupassen.«
»Hattest du eine Kampfausbildung, bevor du hierher kamst?«
Ana musterte mich. »Weißt du, ich glaube, ich war so wie du. Ich meine, ich kenne dich nicht. Aber man sieht es dir an. Ein starkes Mädchen. Wütend.« Ihr Lächeln war irgendwie durchtrieben und traurig zugleich. »Kaputt.«
Ich sah weg. War es so offensichtlich? Als stünde »nicht gesellschaftstauglich« in Großbuchstaben auf meiner Stirn.
Nur Nadia hatte es geschafft, dass ich mich anders fühlte. Als wäre ich gut genug, als müsste ich bloß den Code lesen und die Sprache der normalen Welt sprechen, ohne mich selbst zu verbiegen. Einmal hatte sie mir gesagt, jeder wäre unter der Oberfläche brutal und grausam und manche Menschen würden das nur besser kaschieren als andere.
Ich wollte wie Nadia sein, dazugehören, aber nichts darauf geben, statt umgekehrt. Aber wenn Nadia wirklich gewusst hatte, worauf es ankam, warum hatte sie dann ein fröhliches Gesicht gemacht, obwohl sie so unglücklich war? Warum hatte sie sich mit Schmerztabletten weggezoomt? Und warum zum Teufel hatte sie beschlossen, mich im Stich zu lassen?
Wenn Malachi und Ana tatsächlich so viel drauf hatten, konnte ich Nadia ja vielleicht bald persönlich fragen.
Ana führte mich eine Steintreppe hinunter, das Licht der Gaslampen flackerte in der Dunkelheit. Allmählich wurde es kälter. Dröhnen und heftiges Krachen hallten von den Steinmauern wieder. Es hörte sich an, als wäre ein Kampf im Gange. Unten an der Treppe befand sich eine Tür.
»Er wärmt sich auf«, bemerkte Ana, als sie die Tür
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