Inquisitor: Drei Romane in Einem Band. Mit Bonusmaterial: "Die Innere Bestie" [u.a.]. Ian Watson. Mit Einer Einf. Des Autors. [Dt. Übers. Von Walter Brumm Und Christian Jentzsch].
der
Jahrhunderte oder Jahrtausende war dieser gewaltige Felsen wahrscheinlich in
großem Umfang durchtunnelt und mit Kammern, Mönchszellen und Lagerräumen versehen
worden, vielleicht auch mit ausgedehnten Katakomben darunter.
Offensichtlich hatten sich die
Eremiten vor dem Staubsturm in die Höhlen zurückgezogen. Als er abgezogen war,
hatten sie ihre Plätze wieder eingenommen, um nach und nach der zunehmenden
Hitze zum Opfer zu fallen. Die Ordensregeln dieser Anachoreten mussten eine
Ausnahme für Staubstürme zulassen, aber sicher nicht für einen verheerenden
Temperaturanstieg. Sabulorb war eine kühle Welt, und seit Menschengedenken hatte
es dort keine gefährliche Hitzewelle gegeben. Infolgedessen waren die Eremiten
auf ihren Säulen geblieben und hatten sich immer inbrünstigeren und fiebrigeren
Gebeten hingegeben.
In diesem zentralen Felsmassiv
mochte es noch Novizen und Diener geben, die in hilfloser Trauer ausharrten.
Vielleicht frohlockten sie auch
darüber, ihrer Pflichten entbunden zu sein. Vielleicht trauerten manche,
während andere feierten.
Jedes rationalen Daseinszwecks
beraubt, waren sie einander vielleicht längst an die Gurgeln gefahren, als die
Hitze angefangen hatte, in die Höhlen einzudringen, die einmal sehr kühle
Aufenthaltsorte gewesen sein mussten.
Die Kameloparden gingen im
Schritt, nicht zuletzt wegen des unebenen Bodens, der von Geröll übersät war.
Doch schien diese Felsenlandschaft auch einen gewissen Zauber auf die
langschnäuzigen Tiere auszuüben. Es herrschte alles durchdringende Stille. Die
Tiere suchten sich umsichtig ihren Weg und enthielten sich ihres sonst beinahe
unablässigen Grunzens und Schnüffelns, als scheuten sie sich, die feierliche
Ruhe zu stören.
Wieder die Inschrift: PATRIARCH
VON ALLEN.
Warum nicht VATER VON ALLEN?
Das war gebräuchlicher.
Kalter Schrecken lief Jaq über
den Rücken. Auf einem kegelförmigen Felsturm öffnete ein Eremit die Augen und
starrte herab. Es waren mesmerische violette Augen. Gesprungene Lippen öffneten
sich, zeigten zugefeilte Zähne.
Auf anderen Säulen regten sich
andere Eremiten. Jaq stieß seinem Kameloparden die Fersen in die Rippen, dass
er ihn schneller an der Patriarchensäule vorbeitrage.
Den anderen zischte er zu: »Das
sind Symbionten!«
Verwünschungen knurrend,
machten Grimm und Lex ihre Waffen schussbereit.
Die junge Frau rief ihnen zu:
»Was geht hier vor?«
»Was werden sie tun?«, fragte
Rakel.
Etwas in Jaq schien zu
zerbrechen. Mit heiser klagender Stimme rief er aus: »Meine wahre Assassine
wusste, was Symbionten und ihre Hybriden tun. Sie nahm ihre nichtmenschliche
Gestalt an. Sie zerriss Hybriden mit ihren Klauen.« Symbionten injizierten
ihren Samen in ein menschliches Opfer männlichen oder weiblichen Geschlechts.
Menschliche Eltern brachten
dann unheilvolle Sprösslinge zur Welt, die sie abgöttisch liebten, weil sie
Sklaven ihrer Brut geworden waren. Manche Hybriden waren Ungeheuer. Andere
wirkten beinahe menschlich, grobknochig und kahl, aber ihre Zähne waren im
Allgemeinen scharf und ihre Augen hypnotisch ...
Wie diese Eremiten auf den Säulen.
Reinblütige Symbionten waren
ungemein stark und widerstandsfähig. Mit ihren krallenbewehrten Klauen konnten
sie Stahlblech zerreißen. Ihre Hybriden hatten genug von dieser Robustheit und
Kraft geerbt, um einen Temperaturanstieg zu ertragen.
Wenn alle Einsiedler draußen
auf ihren Felssäulen Hybriden waren, wer konnte dann als menschlich angesehen
werden, und welche Ungeheuer mochten in dem zentralen Felsmassiv lauern?
Eremiten und Ungeheuer würden
alle in emotionaler Abhängigkeit an ein scheußliches, gepanzertes Untier von
einem Patriarchen brutgebunden sein. Sabulorb war doch nicht erfolgreich gesäubert
worden. Die Überlebenden einer Brut hatten diese Wüsteneinsiedelei unterwandert
und sich vermehrt ...
Wäre Meh'lindi nur hier! Wäre
sie nur wie einst mit Symbiontenimplantaten ausgestattet, damit sie die
Symbiontenbrut ausspionieren könnte. Aber das war ein müßiger und unpassender
Wunsch. Ihre Implantate waren ihr nicht nur hinderlich gewesen, sie hatten auch
ihre Erscheinung auf die widerwärtigste Weise verändert.
»Sie riss Hybriden mit ihren
Klauen auseinander!«, wiederholte Jaq.
Rakel schauderte. »Ihr setzt
hohe Erwartungen in Eure Mätressen, Inquisitor!« Scham überwältigte Jaq. Seine
Stimme bebte. »Deine Nachahmung ihrer Erscheinung ist geheiligt«, erklärte er.
Doch nein sie war profan.
Oder doch — Rakels
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