Ins dunkle Herz Afrikas
Busch zurückgeblieben. Als hätte dieser Ansturm von Ereignissen Schicht um Schicht jahrelange Ablagerungen abgetragen, bis der Kern ihrer Persönlichkeit bloß lag. Einmal mehr wunderte sie sich über die eigenartige Wendung des Schicksals, das in diesen Tagen, in denen ihr Leben ständig bedroht wurde, vier Menschen das Glück gebracht hatte.
»Wir müssen Isabella suchen lassen«, erinnerte Tita, Besorgnis in den grünen Augen, »ich rufe die Polizei an.« Sie streckte die Hand zum Telefon aus.
»Hoffendich ist sie noch am Leben - ich mag gar nicht daran denken, was ihr alles zustoßen könnte.« Henrietta stoppte sie. »Dieser Mann würde ihr nie etwas zu Leide tun. Wir können sie nicht offiziell suchen lassen, ohne ihn in Lebensgefahr zu bringen. Außerdem glaube ich, dass sie behaupten wird, auch dazuzugehören, und das würde sie auch in Lebensgefahr brin-370
gen. Wir müssen abwarten, bis sie sich meldet - wenn sie sich meldet.«
»Ich kann das einfach nicht glauben«, protestierte Tita, »Isabella und ein Zulu! Sie hasst Schwarze, nennt sie Kaffern und behandelt sie wie ein Stück Dreck. Bist du sicher, dass der Kerl ihr nichts eingeflößt hat? Dagga oder ein Muthi von seinem Sangoma? Im Trinkwasser vielleicht - ich trau denen alles zu.«
»Dazu war keine Gelegenheit, dann hätten wir das alle getrunken«, antwortete sie, »Tita, hör auf, lass einfach die Farbbezeichnungen weg. Was bleibt dann?
Ein junges Mädchen trifft einen Mann, einen Doktor der Rechte, und verliebt sich unsterblich in ihn. Für Lukas ist sie eine Schönheit, in seiner Kultur liebt man üppige Frauen. - Was ist daran so ungewöhnlich?«
»Oh, ist ja schon gut, nimm deinen Zeigefinger runter.« Verdrossen schwenkte Tita ihren Drink. »Verstehen tu ich es doch nicht. Es macht keinen Sinn. Wenn du sicher bist, dass Isabella nicht unter Drogen stand, wie kannst du mir dann erklären, dass sie mit dem Kerl im Busch verschwunden ist? Dieser Mann ist ein Terrorist, verdammt noch mal, vermutlich auch ein Mörder.« »Es ist die alte, böse Geschichte des weißen südafrikanischen Kindes, dessen Mutter nicht viel Zeit für die Tochter hatte, da blieb ihr nur ihre Nanny, die ihr Liebe gab ...«
Neu fiel ihr ins Wort. »Und dann brachte ihr die weiße südafrikanische Gesellschaft bei, dass diese Nanny ein minderwertiger Mensch sei, nicht viel besser als ein Haustier.« Seine Stimme klang bitter. »Das ist die Wurzel des Übels, die müssen wir herausreißen. Eigentlich gehören wir alle auf die Couch eines Psychiaters - würd' ein ziemliches Gedrängel geben.« Er lachte freudlos auf und schüttete seinen Gin Tonic die Kehle hinunter.
»Da ist noch etwas anderes.« Henrietta zog ihre Tasche heran und fischte ein paar Geldscheine hervor. »Ich möchte das hier für Lukas hinterlegen. Er wird es eines Tages abholen.« Sie senkte ihre Stimme, wollte jetzt noch nicht über Sarah sprechen, aber Tita ließ nicht locker, und so erzählte sie, wie ihre schwarze Schwester ver-371
schwunden war. »Als Mary das Chamäleon auf Sarahs Hand erblickte, geriet sie in Todesangst...« Neu nickte. »... der Todesbote der Zulus ...« »Ja, genau das. In diesem Moment war sie nicht mehr Mary, nur noch Nonhlanhla, die Zulu, zurück in der übernatürlichen Welt ihres Volkes, die von Geistern und Dämonen bevölkert und den Seelen ihrer Vorfahren regiert wird, sie wusste, dass sie von ihren Ahnen verlassen worden war und das Chamäleon ihr den Tod ankündigte.
Verstehst du? Es war ihr Glaube. Es war für sie entschieden, dass sie sterben musste.« Aus den Augenwinkeln sah sie Neu nicken. »Sie schrie Sa-rah noch etwas ins Gesicht«, fuhr sie fort, »ich konnte es nicht verstehen, aber Lukas meinte, es sei ein Fluch gewesen. Dann ließ sie den Ast los und fiel in die Tiefe. Und das war das Ende von Mary, der Henkerin. Sarah sagte, das alte Krokodil habe sie erwischt.« Sie erntete entsetzte Blicke. lan saß regungslos, sagte nichts, aber als ein Hund in der Nähe bellte, zuckte er zusammen. »Oh, mein Gott«, keuchte Julia und presste die Hand vor den Mund. »Na, ich hoffe, das Krok hat sich nicht vergiftet«, murmelte Neu und brach den Bann.
»Sarah ging dann«, fuhr sie fort, »sie drehte sich noch einmal um und sagte, ich werde den Schwalben folgen und in die Berge verschwinden.« Sie musste eine Pause machen, durchlebte wieder, wie sich Sarah von ihr abwandte und ging, wünschte inständig, sie wäre ihr gefolgt. »Es waren ihre letzten Worte«,
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