Ins Eis: Roman (German Edition)
das Gewehr es wert war, sich Stiefel, Jacke, Handschuhe und Mütze überzustülpen und einen Ausflug in die abendliche Finsternis und Kälte zu unternehmen.
»Ich wusste gar nicht, dass du dich so für Waffen interessierst«, sagte Fredrik.
»Eigentlich schon immer, ich bin nur nie dazugekommen, einen Waffenschein zu machen. Wir haben mal zusammen gejagt, erinnerst du dich nicht, Papa? Das war, als wir noch in Bergen lebten. Ich war vierzehn oder fünfzehn, und du und Onkel Jonny, ihr habt mich mitgenommen, als ihr im Herbst auf Elchjagd gegangen seid.«
»Ja natürlich, jetzt erinnere ich mich. Wir haben damals einen Bullen erlegt. Das war der größte Elch, den ich je gesehen habe. Das hatte ich völlig vergessen.«
»Du hast den Bullen geschossen, Papa. Es war dein Schuss, der direkt durchs Herz ging. Opa Jonny hat bloß den Hintern getroffen.«
Fredrik lachte herzhaft. Kirsten wandte gerade rechtzeitig den Kopf, um zu beobachten, wie Hartmut hinter Fredriks Rücken die Augen verdrehte. Tobias hingegen wollte die ganze Geschichte hören. Während die Männer begannen, sich übers Jagen zu unterhalten, erkundigte sich Ingrid nach Kirstens Zehen, weil sie sah, dass Kirsten immer noch an den Spitzen herumdrückte. Kirsten murmelte, eine Amputation würde wohl nicht nötig werden. Das einzig Gute an ihrem Sardinenbüchsenschlaflager sei, dass es mit all den Männern im Zelt in der Nacht auch ohne brennenden Ofen angenehm warm sein würde.
»Ja, es ist etwas eng hier drin. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass Tim nein sagen wird, wenn du ihn fragst, ob du bei ihm schlafen darfst.« Ingrid berührte mit der Zungenspitze ihren Mundwinkel so, wie Tim es oft tat, wenn ihn etwas amüsierte. Zum Glück sprach sie leise. »Aber das käme vielleicht beim Rest nicht so gut an.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.« Weiter kommentierte Kirsten das Thema nicht. Sie verspürte wenig Lust, über Männer zu reden, schon gar nicht mit Ingrid, bei der sie nach wie vor nicht sicher sein konnte, ob sie von der Liste der potenziellen Geliebten Kristoffers zu streichen war oder nicht. Immerhin hatte Ingrid ihr gerade eine Gelegenheit gegeben, das Thema von der unverfänglichen Seite her anzugehen.
»Hat Trond denn nichts dagegen, wenn du mit fremden Männern auf Tour gehst?«, nahm sie das Gespräch auf. »Es war ja bis heute Morgen nicht klar, dass ich mitkommen würde. Mit Peter wäre es sogar noch ein Mann mehr gewesen. In seinem Fall sogar ein Single, wenn ich richtig informiert bin.«
»Nun, ganz glücklich war Trond nicht, aber er hat wohl auf Fredrik als Aufpasser gesetzt.«
»Fredrik als väterliche Anstandsdame?«
»Eine Rolle, die zu ihm passt, hätte ich angenommen.«
»Oh, das bestimmt. Wenn es heutzutage noch Duelle gäbe, hätte er bestimmt schon ein paar für sich entschieden. Ist dein Mann eifersüchtig?«
»Trond? Nein. Ich bemühe mich auch, ihm keinen Grund dazu zu geben. Allerdings mag er es schon, wenn wir abends zusammen ins Bett gehen. Er ist ein Familientyp.«
»Er hat mir erzählt, dass ihr keine Kinder kriegen könnt.«
»Ja, das ist ein Geschenk, das ich ihm leider nicht machen kann.« Ingrid stocherte im Eintopf. Sie sagte es leichthin, doch ihre Mundwinkel zeigten ein wenig nach unten. Nach einer kurzen Pause fügte sie ohne weitere Erklärung hinzu: »Aber diese Entscheidung hat jemand anders für mich getroffen.«
Der nächste Tag begann mit Porridge zum Frühstück. Sie würden zwischen vierzig und fünfzig Kilometer zurücklegen, weshalb sie bereits kurz nach sieben Uhr aus ihren Schlafsäcken krochen. Die Männer bauten das Expeditionszelt, in dem Tim geschlafen hatte, ab, Tim kümmerte sich um das Verladen der Gemeinschaftsausrüstung, während die Frauen das Basiscamp fegten und aufräumten, damit alles für ihren zweiten Besuch in drei Tagen sauber und am Platz war. Diesmal stopfte Kirsten die Heizbeutel nicht nur in ihre Handschuhe, sondern gleich auch in ihre Socken. Das Wetter sei perfekt, meldete Ingrid von draußen: milder als am vorigen Tag, dabei windstill bei beinahe klarem Himmel.
Ein entsprechend friedlicher Anblick begrüßte Kirsten, als sie die Eingangsklappe des großen Zelts beiseite- schlug und nach mehr als vierzehn Stunden Zeltaufenthalt ins Freie trat: Die meisten Hunde schliefen noch, eingekringelt, die Schnauzen an buschige Ruten gedrückt. Sie blinzelten nicht einmal, als sie ihre Sachen an ihnen vorbei zum Schlitten schleppte. Isomatte und Schlafsäcke verstaute sie
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