Ins Eis: Roman (German Edition)
amüsiert.
»Du meinst private Angelegenheiten? Intimes? Nein, darüber haben wir nie groß gesprochen, nicht einmal als wir noch auf der Schule waren. Kristoffer und ich, wir standen uns nicht besonders nah, nicht auf diese Art.«
»Dann hat er dir wohl auch nicht viel über seine Reisen nach Spitzbergen erzählt?«
»Er hat mir Fotos gemailt und von seinen Ausflügen erzählt, das Übliche. Er sagte, ich solle irgendwann mit ihm kommen, im Sommer oder im Herbst zu einem Segeltörn rund um Spitzbergen. Vielleicht könnten wir sogar zu dritt fahren, sagte er, Papa, er und ich. Dieses Land hat ihn gefangen genommen.«
»Und dann hat es ihn nicht mehr hergeben wollen.«
Sie schwiegen. Kirsten ahnte, dass sie bei Erland im Augenblick nicht weiterkommen würde. Seine Loyalität seinem Vater gegenüber war der Imperativ all seines Handelns, oft zum Ärger Monikas. Wenn er erst mit Fredrik sprechen wollte, bevor er Kirsten mehr über dieses Notizbuch verriet, würde sie ihm ihrerseits Informationen geben müssen, bevor er sich umstimmen lassen würde. Was wiederum für sie nicht in Frage kam.
Nach einer halben Stunde Pause kehrten sie dem Gletscher den Rücken. Die Männer waren ein wenig enttäuscht, weil sie keine Eisbären gesehen hatten, vor allem nachdem Ingrid erzählt hatte, sie habe bei ihrem letzten Besuch zwei Bären nur ein paar hundert Meter von dieser Stelle entfernt gesichtet. Tim bemerkte tröstend, auch in den nächsten zwei Tagen stünden die Chancen auf Bärenbegegnungen recht gut, woraufhin Kirsten murmelte, der Mensch solle vorsichtig sein mit seinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen. Fredrik legte ihr einen Arm um die Hüfte und scherzte: »Mädchen, du machst mir Sorgen. Du wirst noch völlig traumatisiert von hier fortgehen.«
»Nun, bis auf einen ausgewachsenen Sturm habe ich meine Top Fünf der Schrecken Spitzbergens bald zusammen«, erwiderte sie spitz und zählte an den Fingern ab: »Eine Eisbärenbegegnung, halb abgefrorene Finger, ein toter Ehemann, Familienbesuch. Was das Land wohl noch für mich bereithält?«
Die anderen starrten sie an. Ingrid sagte: »Dieses Land versteht keinen Spaß, Kirsten. Spitzbergen hat viele Schrecken zu bieten. Fordere es lieber nicht heraus.«
Sieben Stunden nach ihrem Aufbruch am Morgen erreichten sie die »Noorderlicht«. Jonas, Peter und die Damen waren bereits vor Ort; winkend begrüßten sie die Hundeschlittenfahrer von Deck aus. Tims Gruppe fuhr mit den Schlitten nicht direkt bis an das Schiff heran, weil die schiffseigenen Hunde die fremden Teams schon von weitem verbellten. Sie mussten warten, bis eines der Crewmitglieder die Schiffshuskys an den Hundehütten, die direkt neben der Gangway standen, festkettete. Aus der Nähe präsentierte sich die »Noorderlicht« noch bizarrer als aus der Distanz: ein voll funktionsfähiges traditionelles Segelschiff unter niederländischer Flagge, festgefroren im Eis, flankiert von Hundehütten und einem Briefkasten, als gehörten diese so selbstverständlich zum Schiff wie Anker oder Segel.
Jonas konnte seine Mutter in den vergangenen eineinhalb Tagen nicht allzu sehr vermisst haben, denn er begrüßte zuerst Bridgestone, bevor er sich in Kirstens Arme warf. Plappernd berichtete er von seinen Erlebnissen, wie Peter ihn ganz allein sein Schneemobil hatte lenken lassen, doch vor allem, wie sich Elisabeth in einem Schneehaufen festgefahren und Oda sie mit einem Seil hatte rausziehen müssen. Selbst die Damen wirkten, als Kirsten sie begrüßte, nicht unzufrieden mit der Welt. Zwar war es ihnen während der Fahrt schon recht kalt geworden, und sie hatten die Episode mit Elisabeths Ausflug in eine Schneewehe nicht ganz so amüsant gefunden wie Jonas und Peter, doch das Abenteuer entfaltete auch für sie seine Reize, allen voran die majestätische Landschaft und die unvergleichlichen Farben des beginnenden polaren Lichtwinters.
»Kirsten hatte doch ziemlich mit der Kälte zu kämpfen«, petzte Tobias, sobald sich alle zum Abendessen im gemütlichen, holzverkleideten Salon einfanden und die Herren von ihrer Tour erzählten. Es war warm, das Licht der Schiffslampen freundlich und das Essen exzellent. Großzügig fügte Tobias hinzu: »Dafür ist sie die einzige Frau, die ich kenne, die behaupten kann, bei minus einunddreißig Grad im Zelt übernachtet zu haben.«
»Im beheizten Zelt«, sagte Hartmut. »Und ohne einen Fuß nach draußen zu setzen.«
»Sei nicht so ungerecht«, mischte sich Erland ein.
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