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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
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einem Frontanker, der die zentrale Drahtleine, an der die Hunde paarweise eingeschirrt waren, spannte. Die Hunde hatten sich hingelegt, von ihren Fellen stieg Dampf auf. Einige schlossen die Augen, andere knabberten sich Eis und Firn von den Pfoten. Nur in Tims Team warfen sich ein paar Huskys bellend in das Geschirr, wollten weiterlaufen.
    Kirsten hatte bereits beim Einspannen Fotos gemacht, wenn auch nicht viele. Als sie jetzt ihre Kamera auspackte, tat sich gar nichts mehr. Der Akku war nach wenigen Stunden in der Kälte bereits am Ende. Sie wollte die Batterie wechseln, doch ihre Finger kühlten in den dünnen Merinohandschuhen sofort aus, weshalb sie rasch wieder in die Fleecehandschuhe und mit diesen in die dritte Schicht, Handschuhe aus Seehundfell, schlüpfte. Zum ersten Mal fühlte sie nun auch die Kälte in ihren Zehen. Sie begann, auf der Stelle zu joggen.
    »Alles klar?« Tim war neben Kirsten aufgetaucht und bot heißes Wasser für ihre Tourenmahlzeit, ein Fertiggericht, an.
    »Es ist etwas frisch hier.«
    »Am Körper?«
    »Nur an den Händen und Füßen. Sonst ist alles warm. Mach dir keine Gedanken, ich komme schon klar.«
    Kirsten ruderte mit den Armen, während sie wartete, bis das Huhn mit Paprika und Currysoße auf Reis lange genug gezogen hatte. Das Essen gestaltete sich schwierig. Weil die Mahlzeit binnen kürzester Zeit erkaltete, musste sie jeden Bissen undamenhaft herunterschlingen, dazu kam die Herausforderung, den Löffel trotz Gesichtsmaske in den Mund zu führen. Am Ende goss sie sich noch ein wenig dampfenden Tee ein, schluckte ihn in einem Schwall hinunter, obwohl er dafür fast zu heiß war, und sah zu, dass sie ihre eiskalten Finger wieder in die Seehundfell-Handschuhe brachte. Doch es wollte ihr nicht mehr gelingen, sie richtig warm zu bekommen. An den Handinnenflächen spürte sie weiterhin die Wärme der kleinen Heizbeutel, aber sie reichte nicht bis zu den Fingerspitzen. Armschütteln, die Hände zu Fäusten ballen oder mit den Fingern auf einem nicht vorhandenen Klavier spielen brachte ebenfalls keinen nennenswerten Effekt. So wunderschön der Tag auch war – das Wetter, die archaische Romantik der Hundeteams vor den nach Pinsel und Leinwand verlangenden Berghängen, die lang gestreckten Kuppen, die im Laufe der Etappe schrofferes Gebirge ersetzten und die Landschaft sanfter zeichneten –, mit der Kälte, die sich durch Kirstens Zehen und Finger nagte, kroch die Angst heran. Wenn sie jetzt, nach nur ein paar Stunden bereits derart auskühlte, was würde sie erwarten, sollte es noch kälter werden? Was, wenn es ihr nicht mehr gelang, ihre Extremitäten warm zu bekommen? Würde ihr Abenteuer vorbei sein, bevor es überhaupt begonnen hatte?
    Die Lust aufs Fotografieren war ihr gehörig vergangen. Als ihre Mütze verrutschte, ließ sie sie, wie sie war, um nicht erneut aus ihren Handschuhen schlüpfen zu müssen. Sie begann, von den Fersen auf die Zehenspitzen und wieder zurück zu wippen. Sie ging tief in die Hocke, vertraut mit dem Prinzip, dass die Zirkulation im Körper begann, mit ihrem Herzschlag. Hier lag die Quelle der inneren Heizung, der Motor, der auf Touren kommen musste. Langsam begann sie zu glauben, dass die Hunde, die den Schlitten ziehen mussten, vielleicht das bessere Los hatten. Bewegung bedeutete Wärme. Sie selbst jedoch stand die meiste Zeit still auf den Kufen, eine mitteleuropäische Statue in der falschen Klimazone. Der Versuch, ein paar Schritte neben dem Schlitten herzurennen, scheiterte: Der Schnee war zu locker, sie sank zu tief ein und keuchte bereits nach dreißig Metern wie ein Blasebalg.
    Als Tim schließlich in ein kleines Nebental abbog, konnte Kirsten es gar nicht mehr erwarten, raus aus der Kälte zu kommen und hinein in das beheizte Zelt des Basiscamps. Ungeduldig hielt sie Ausschau, bis endlich vor ihr ein hellbraunes Konstrukt auftauchte, vieleckig aus schweren Planen mit einem aus der Mitte nach oben ragenden Rauchabzugsrohr. Ein einsames Zelt inmitten schneebedeckter Hügel. Es wirkte winzig, verloren. Sie fragte sich, wie sie alle darin Platz zum Schlafen finden sollten.
    Im Seitental gab es keinen vorgespurten Trail mehr, der Schnee wurde hier so tief, dass die Hunde bis zum Bauch versanken, weshalb es dann doch länger dauerte, bis sie die Teams seitlich des Zelts geparkt hatten. Sie setzten die Frontanker, verlängerten die Halsketten der Hunde, damit diese für die Nacht ein wenig mehr Bewegungsfreiheit hatten, zogen ihnen die

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