Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
Vom Netzwerk:
Fredrik auch immer: frisch gebadet.
    Auf dem Weg zum Ausgang überholte sie der Hüne aus dem Flieger. Außerhalb des engen Flugzeuggangs wirkte seine Gestalt nicht minder massig. Er war bestimmt eins neunzig, womit er Kirsten um beinahe zwei Köpfe überragte. Dicke graue Strähnen mischten sich in sein nackenlanges Haar, der Bart wucherte vom Hals bis zu den Wangenknochen. Sein Blick glitt über Kirsten hinweg und blieb an Fredrik hängen. Die beiden Männer hielten zeitgleich inne. Fredrik stellte die Taschen ab.
    »Lennart«, grüßte er.
    »Fredrik.« Die Stimme des Hünen schepperte wie ein Bündel rostiger Konserven, es klang nicht freundlich. Ein Junge blieb neben ihm stehen. Er war wohl noch keine sechzehn, aber schon größer als Fredrik.
    Die beiden Männer wechselten ein paar Worte auf Norwegisch. Die sonst so melodische nordische Sprache klang auf einmal sehr hart. Jonas versteckte sich hinter seinem Großvater.
    »Das ist mein Enkel Jonas und dies meine Schwiegertochter Kirsten«, stellte Fredrik sie auf Englisch vor.
    Der Hüne zeigte mit dem Daumen auf den Teenager an seiner Seite. »Mein Jüngster«, sagte er, sparte sich jedoch, dessen Namen zu nennen. Mit seinem Zeigefinger auf Kirsten deutend fragte er in abgehacktem Englisch: »Die Frau deines toten Jungen?«
    Fredrik rückte den Riemen der Tasche über seiner Schulter zurecht. »Du hast von dem Unglück gehört?«
    »Jeder hat davon gehört. Es stand in der Zeitung.« Der Mann legte seinem Sohn eine Pranke auf die Schulter. »Deine Schuld, Fredrik. Du hättest deine Jungs damals mit hierher bringen sollen. Damit sie keine Dummheiten begehen. Kälte und Dunkelheit muss man lernen. Du hast es nicht gelernt. Du warst feige. Du hast deinen Jungs ein schlechtes Beispiel gegeben.«
    »Ich nehme dein Mitgefühl für den Tod meines Sohnes zur Kenntnis, Lennart.«
    Eine kleine Gruppe aufgeregter Briten rempelte an ihnen vorbei, auf dem Weg zum Bus, der sie nach Longyearbyen hineinbringen würde. Der Hüne sah ihnen nach und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Es gibt zu viele. Touristen. Idioten. Als was bist du zurückgekehrt, Fredrik? Ich habe gehört, du bist reich.«
    »Das habe ich auch gehört.« Fredriks Miene war regungslos geblieben. Jetzt streckte er dem anderen eine Hand zum Abschied entgegen. »Immerhin scheint sich hier nicht alles geändert zu haben. Das ist gut zu wissen.«
    Der Hüne schien einen Moment zu zögern, schüttelte dann jedoch die angebotene Hand fast widerwillig, bevor er mit seinem Sohn davonging.
    »Ein alter Bekannter aus meiner Zeit beim Kohlebergbau«, erklärte Fredrik, während er erneut nach den Taschen griff. »Ein guter Mechaniker.«
    »Offenbar kein Freund.«
    »Lennart war schon immer so. Er mag keine Fremden. Und keine Veränderungen.«
    »Mit solchen Leuten bin ich nie zurechtgekommen.«
    »Das kann man lernen. Du musst ihnen einen Grund geben, dich zu respektieren. Dazu musst du sie verstehen, nachvollziehen, wie sie denken und welchem Wertekanon sie folgen. Heute verbrennen wir Kohle, damit es uns warm wird, aber früher wurde Kohle verbrannt, um Eisen zu schmieden.«
    »Ich fand, er hat einfach nur Aggressivität ausgestrahlt.«
    Fredrik lachte. »Ach nein«, sagte er. »Bloß verbrannte Kohle.«
    Draußen auf dem Parkplatz machte Fredrik ein Foto von Jonas vor einem überdimensionalen Wegweiser, dessen Pfeile auf Orte in der ganzen Welt verwiesen. 1309 Kilometer waren es bis zum Nordpol, 18692 Kilometer bis zum Südpol. Es war fast windstill, der Himmel leicht bedeckt, doch es zog sich zu. Kirsten kramte in ihrer Tasche nach Jonas’ Fäustlingen. Sie waren um halb drei Uhr nachmittags gelandet, und zu ihrem Erstaunen war es immer noch hell. Fredrik meinte, es würde erst in etwa einer Stunde dunkel werden. Um diese Jahreszeit, in der zweiten Februarhälfte, kämpfte sich das Tageslicht zurück, wo vorher über drei Monate arktische Nacht geherrscht hatte. Jeder Tag brachte nun zwanzig Minuten länger Licht. »Aber lass dich nicht täuschen«, fügte er hinzu. »Die Sonne schleicht sich zurück, doch es beginnt die kälteste Zeit des Jahres. Da steigt das Thermometer manchmal wochenlang nicht über minus zwanzig Grad.« Er drehte die Heizung im Mietwagen eine Stufe höher.
    Sie fuhren die Straße am Fjord entlang in Richtung Stadt. Fredrik gab den Reiseführer, auch wenn es außer Berg – rechter Hand – und Fjord – linker Hand – wenig zu sehen gab. Er wies sie auf den Arctic Seed Vault,

Weitere Kostenlose Bücher