Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Erklärungen zu haben, die man glauben und verstehen kann, wenn die Wahrheit zu schwer verdaulich ist. Alles, was ich tun konnte, war, ihr ein Freund zu sein und zu zeigen, dass ich ihr keine Schuld gab.«
So hat er Christabel also geholfen, dachte Pippa. Davon hat sie gesprochen.
»Aber Christabel ist dann auch weggegangen«, sagte sie.
»Sobald sie fünfundsechzig war und ihre Mutter in England besuchen durfte. Sie beantragte ein Visum und kehrte nicht zurück. Ich habe sie sehr vermisst.«
»Was glauben Sie, warum sie später doch wiedergekommen ist?«
Heinrichs harte Gesichtszüge entspannten sich, und er lächelte. »Das liegt doch auf der Hand: weil es hier wunderschön ist, weil man so eine Heimat nicht leichtfertig aufgibt – und weil Menschen dazulernen können.« Er hob den Zeigefinger. »Und: weil sie ganz schnell vergessen, besonders gerne ihre eigenen Fehler. Christabel hat sich ihre Welt zurückerobert. Mit ungeheurem Einsatz. Von ganz unten.«
Jetzt oder nie, dachte Pippa und fragte: »Sie meinen: Sie hat sich aus ihrer Alkoholabhängigkeit befreit?«
»Sie wissen davon?« Heinrich warf ihr einen erstaunten Blick zu, dann nickte er. »Ich habe geholfen, wo ich konnte.« Er deutete auf die Regale voller Tinkturen und Kräuter. »Sie trank schon viel zu viel, bevor sie wegging. Es war wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Jemand behauptet etwas immer wieder, irgendwann glaubt man es selbst und tut es schließlich – und schon ist es die Wahrheit. Diese Verleumdungen waren eine schwere Strapaze, eine Heimsuchung für sie. Es war schon schlimm genug, dass ihr Alter an den angeblichen Fehlentscheidungen im Kreißsaal schuld sein sollte, aber Waltraut Heslich streute obendrein das Gerücht, Christabel sei Alkoholikerin. Und das bereits zu einem Zeitpunkt, als das noch gar nicht stimmte.«
Aha, dachte Pippa, Waltraut Heslich sang im Chor der Verleumder mit. »Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Wenn Frau Heslich und Frau Gerstenknecht ein so gespanntes Verhältnis zueinander hatten, warum hat dann Christabel für sie Bornwassers Beerdigung bezahlt?«
»Das hat mit Frau Heslich nichts zu tun«, sagte der alte Heinrich und hob den Zeigefinger, »das geschah, weil es hier Brauch ist, dass der Ortsvorstand entscheidet, ob zur Ehrung verdienstvoller Mitbürger ein Leichenschmaus ausgerichtet wird. In diesem speziellen Fall wollte Christabel sicherstellen, dass alle, die unter Bornwasser gelitten haben, an diesem Tag ohne Zorn Abschied nehmen können. Sie hat als Bürgermeisterin über die Bezahlung entschieden – nicht als Privatperson.«
»Und was ist mit Gabriele Pallkötter? Spielte sie auch eine Rolle?«
Heinrich lachte bitter. »Die war auch damals schon mit Frau Heslich im Bunde. Zu der Zeit bestand die Doppelkopfrunde aus Eva Lüttmann, Bornwasser, Pallkötter und Heslich. Der ehrenwerte Herr Hollweg kam erst nach Frau Lüttmanns Tod dazu.«
»Das klingt, als ob er bei Ihnen nicht gerade hoch im Kurs stand.«
»Damals wie heute habe ich mich von dem Mann ferngehalten. Er und ich, wir spielten nie in der gleichen Liga, politisch wie menschlich.«
Auf dem Heimweg dachte Pippa über Heinrichs Geschichte nach. Sie war jetzt von der tiefen Freundschaft zwischen ihm und Christabel überzeugt, denn die beiden hatten gemeinsam eine schwere Krise durchgestanden. Das kannte sie von sich und Karin: Nur eine echte Seelenverwandtschaft hielt so etwas aus.
Als Pippa das Gutshaus betrat, hielt sie inne und lauschte. Kein Laut war zu hören. Sie durchsuchte das Erdgeschoss nach Christabel und Brusche, ohne jemanden zu finden.
Ich bringe dich um, Reporter, dachte Pippa grimmig. Wenn du Christabel einfach alleingelassen hast, wirst du selbst das Thema deiner nächsten Schlagzeile!
Unruhig lief sie die Treppen hinauf in Christabels Stockwerk. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, aber auch dort war niemand. Mit wachsender Panik hämmerte Pippa an die Tür des begehbaren Safes und schrie Christabels Namen.
Die Stahltür ging auf. »Meine Liebe, es ist alles in Ordnung«, sagte Christabel.
Vor Erleichterung wurden Pippa die Knie weich, und sie lehnte sich gegen den Türrahmen.
»Es geht mir gut. Sehr gut sogar.« Christabel lächelte beruhigend. »Als Brusche ging, habe ich mich hier eingeschlossen, denn in diesem Raum bin ich wirklich in Sicherheit. Niemand kann von außen hinein. Außerdem war ich gut beschäftigt: Das Telefon hat pausenlos geklingelt – für Sie.« Die alte Dame ließ
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