Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
hätten jemals das Wahlrecht bekommen, wenn die Furchtlosigkeit der Suffragetten den herrschenden Männern nicht gezeigt hätte, wie ernst es ihnen ist? Es galt zu verändern, was Jahrhunderte, Jahrtausende Bestand hatte. Es ist schade, aber wenn man nicht mit harten Bandagen kämpft, erreicht man nichts. Eine freiwillige Frauenquote in Aufsichtsräten? Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit? Wie lange muss es denn dauern, bis jede Putzfrau so viel verdient wie ein ›Gebäudereiniger‹? Es passiert nur dann etwas, wenn man die Entscheidungsträger mit ihren eigenen fragwürdigen Methoden konfrontiert.«
»Dennoch bleiben sie fragwürdig«, beharrte Pippa. »Gewalt kann keine Lösung sein.«
»Sanftmut ist Luxus – den kann man sich erst leisten, wenn das Ziel erreicht ist. Tatsache ist doch, dass man mit Bitten, Betteln und guten Argumenten nur als lästig wahrgenommen wird und rein gar nichts erreicht. Nur wer mit der Faust auf den Tisch haut, der bekommt ihn auch gedeckt.«
Zumindest für einen Bereich stimmt das, dachte Pippa, wenn man mit vielen anderen auf dem Flur einer Behörde steht, ist oft nicht der geduldig Wartende als Nächster dran, sondern der mit der lautesten Stimme!
Sie erinnerte sich, wie lange sie einmal vor einem Behördenschreibtisch auf eine Beglaubigung gewartet hatte, weil die Beamtin immer wieder an das ständig klingelnde Telefon ging. Die Frau kümmerte sich erst um sie, als sie ihr Handy nahm, bei ihr anrief und wütend fragte, wann sie endlich an der Reihe sei.
Pippa reichte der alten Dame ein Paar frische Baumwollhandschuhe, die Christabel vorsichtig über ihre geschundenen Hände streifte.
»Bei Ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit frage ich mich noch immer, warum ausgerechnet Hollweg Ihre Firma bekommen hätte«, sagte Pippa.
Christabel zog die Handschuhe glatt und lächelte unergründlich. »Hätte er das?«
»Hätte er nicht? Ich dachte …«
»Ich bestärkte ihn in seiner Hoffnung, und so fühlte er sich sicher. Auf diese Weise konnte ich herausfinden, wie er mit den Mitarbeitern umgeht, wenn er uneingeschränkte Macht fühlt – und wie das Personal über ihn denkt. Wäre diese Prüfung positiv ausgefallen, hätte er sich in die Firma einkaufen dürfen und wäre dem zukünftigen Besitzer an die Seite gestellt worden. Mit Hollwegs Geld wären dann die anderen Erben ausgezahlt worden. Hollweg ahnte es natürlich nicht, aber das war von Beginn an mein Plan.«
»Weder Julius noch Severin hätten sich mit Hollweg sonderlich gut verstanden …«
»Von den beiden spreche ich nicht. Julius und Severin haben durch 3L eine Grundsicherung für ihr Leben – und mehr wollten sie auch nie.«
»Aber wer soll denn dann die Firma bekommen?«, fragte Pippa erstaunt.
Christabel beobachtete Pippa genau, als sie antwortete: »Der Haupterbe ist der dritte Sohn meines verstorbenen Mannes. Das habe ich so beschlossen, und auch mein lieber Severin hätte es so gewollt.«
Pippa hatte gerade das Buch für die morgendliche Vorlesestunde vom Nachttisch genommen und ließ es prompt fallen. »Der dritte Sohn? Severin junior und Julius haben noch einen Bruder?«
Christabel genoss die Situation sichtlich. »Julius war sein Pflegekind, und Severin junior ist adoptiert. Aber er hatte noch einen leiblichen Sohn.«
Pippa konnte die alte Dame nur anstarren. Ein leiblicher Sohn? Wer sollte das sein? Plötzlich wurde es ihr klar, und sie schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Florian Wiek!«
Christabel nickte lächelnd. »Gut kombiniert. Deshalb hat Seeger nach unserem kleinen Vieraugengespräch auch erlaubt, dass der Junge hier bleibt. Er hat begriffen, dass Hollweg ein deutlich stärkeres Motiv hatte, Florian umzubringen, als umgekehrt. Hollweg war klargeworden, dass Florian sein Konkurrent war, jünger und deutlich fähiger als er selbst. Um ihn loszuwerden, hat er sein mieses Spiel mit ihm getrieben. Er wollte den Jungen unter Druck setzen und rausekeln.«
»Aber wie hat er Florian dazu gebracht, die Plagiate herzustellen und auch noch so zu platzieren, dass der Ruf von Lüttmanns Lütte Lüd massiv geschädigt wurde? Erst die Gartenzwerge haben doch die Verbindung zwischen den Todesfällen und der Manufaktur hergestellt! War es Größenwahn oder Verzweiflung, darauf zu spekulieren, dass nicht nur der Wert der neuen Kollektion, sondern auch der Kaufpreis der Firma sinkt? Und dass Florian schweigt?«
Christabel zuckte mit den Achseln. »Vielleicht beides, wer weiß. Aber Sie sehen doch:
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