Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
zog. Zuerst den Puls fühlen, fiel ihr ein, und sie tastete fahrig an Seegers Handgelenk herum, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Mit zittrigen Händen öffnete sie seine Jacke und sein Hemd, um ihm Luft zu verschaffen.
Sein Handy!, dachte sie und suchte hektisch seine Taschen ab, gab aber auf, ohne es gefunden zu haben. Doch was jetzt? Stabile Seitenlage? Herzmassage? Beatmen?
»Seeger? Können Sie mich hören? Hallo?«
Sie schlug auf seine Wangen, während sie ihn anschrie, aber er regte sich nicht.
»Ich finde seinen Puls nicht«, keuchte sie verzweifelt, während sie sich zu erinnern versuchte, was Freddy ihr beigebracht hatte. Du kannst nichts falsch machen, Pippa , hatte er gesagt. Nur wenn du gar nichts tust, machst du etwas falsch. Gib dem Menschen, der dich braucht, eine Chance. Tu es einfach. Du kannst das.
»Ich kann das, ich kann das«, betete Pippa wie ein Mantra vor sich hin. Dann nahm sie allen Mut zusammen, atmete tief durch und kniete sich aufrecht neben Seegers leblos daliegenden Körper. Sie streckte die Arme durch und setzte die Hände in der Mitte seines Brustbeins auf. Sie beugte sich über ihn, bis ihre Schultern genau über ihren Händen waren, und presste mit durchgedrückten Ellbogen.
»Eins … zwei … drei … vier …«
Das Brustbein müsse immer wieder komplett entlastet werden, damit das Herz sich mit Blut füllen könne, hatte Freddy ihr erklärt, und dass man dreißigmal in Folge kurz und kräftig zudrücken müsse, dann kurz pausieren und wieder von vorn …
»… achtundzwanzig … neunundzwanzig … dreißig!«
Sie richtete sich keuchend auf und schrie: »Hilfe! Hört mich jemand? Ich brauche Hilfe!«
Tuktu und Tuwawi sprangen auf und liefen vor die Hütte, wo sie ein ohrenbetäubendes Gebell anstimmten. Unayok blieb wachsam neben ihr sitzen.
»Und weiter«, murmelte Pippa und ging wieder in Position. »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs …«
Sie spürte mit wachsender Panik, wie ihre Kräfte nachließen. Was sollte sie tun, wenn sie vor Erschöpfung nicht mehr weitermachen konnte?
»… achtzehn … neunzehn … zwanzig …«
Unayok spitzte plötzlich die Ohren und rannte hinaus. Ob er jemanden gehört hatte? War da nicht ein Motorengeräusch gewesen?
»Hilfe!«, kreischte Pippa, so laut sie konnte, während sie weiter rhythmisch drückte. »Ist da jemand? Hierher! Hilfe!«
»Wir kommen!«, antwortete ein Mann, und Sekunden später tauchten Kommissar Hartung und der alte Heinrich in der Tür auf. Heinrich überblickte die Situation sofort und zog die erschöpfte Pippa von Seeger weg, um ihre Position einzunehmen und mit der Herzdruckmassage weiterzumachen. Pippa sank mit dem Oberkörper gegen die raue Holzwand, den kalten Boden unter ihren Beinen spürte sie kaum.
»Schicken Sie den verdammten Hubschrauber!«, bellte Hartung in sein Handy. »Es ist mir egal, ob der aus Stendal oder Wolfsburg oder Timbuktu kommt! Ich will hier in fünf Minuten einen Notarzt haben!«
Mit dem Telefon am Ohr verließ er die Hütte, um die Rettungsflieger einzuweisen.
Kraftlos schloss Pippa die Augen. Ohne die Herzdruckmassage zu unterbrechen, warf Heinrich ihr einen besorgten Blick zu. »Sie haben vielleicht einen Schock, Mädchen, wir müssen Sie warm halten.«
Er pfiff nach den Hunden. Als sie hereinkamen, brauchte er nur eine kurze Geste, und die Tiere drängten sich um Pippa, wie sie das vorher schon bei Seeger getan hatten.
Ihr seid eben ausgebildete Schlittenhunde, dachte Pippa und genoss die Wärme der pelzigen Hundekörper. Ihr Blick fiel auf Heinrich, dem bereits dicke Schweißperlen auf der Stirn standen.
»Nur einen winzigen Moment noch«, sagte Pippa zu dem alten Mann, »dann lösen Hartung oder ich Sie wieder ab.«
»Keine Sorge«, erwiderte Heinrich, »ich mach nicht schlapp. Ich weiß, wie ich meine Kräfte einteilen muss.«
Seeger stöhnte und bewegte sich, und vor Erleichterung begann Pippa zu weinen. Sie hatte es schon nicht mehr zu hoffen gewagt, aber er lebte.
Severin, ich melde mich bei dir und deinen phantastischen Hunden zu einer Therapie an, dachte sie dankbar. Die werde ich nach alldem hier auch dringend brauchen …
Heinrich wickelte sich aus seinem Umhang, legte ihn doppelt gefaltet auf den Boden und manövrierte Seeger vorsichtig auf den weichen Wollstoff. Obwohl der alte Mann jetzt nur noch ein kragenloses Hemd, Cordhose und Sandalen an den bloßen Füßen trug, schien er die Kälte nicht zu spüren.
Diese Form der Abhärtung
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