Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Schlittenhunde-Weltrekord entgegenlief. Ein zweiter Hund saß vor dem Rad, als wartete er ungeduldig darauf, dass er endlich an der Reihe war.
Christabels Hunde gestalten sich ihren Morgenspaziergang selbst, dachte Pippa amüsiert, wie praktisch!
Im hinteren Teil des Gartens standen locker verteilt insgesamt sechs Hundehütten mit flachem Dach. Auf einer lag ein dritter Hund, der seine Artgenossen gelassen beobachtete. Mehr Hunde sah Pippa nicht, und sie fragte sich, ob die anderen Hütten leer waren oder ihre Bewohner zu den Langschläfern zählten.
Mitten im Garten stand ein hoher Mast, auf dessen Spitze ein riesiges Storchennest thronte, das noch unbewohnt war. Die am Nest angebrachte Webcam versprach allerdings, dass sich das ändern würde. Der Mast bestand aus einem Metallgeflecht aus diagonalen Verstrebungen in X-Form, bei deren Anblick Pippa an die Beine der Bistrotische vor der Ade-Bar denken musste. Es sah ganz so aus, als gäbe es in der Umgebung einen Handwerker, der gut mit Metall zu arbeiten und Funktionalität in Kunst zu verwandeln verstand.
Noch waren die Büsche und Bäume im Garten kahl, aber Pippa konnte sich vorstellen, wie schön es dort war, wenn die alten Obstbäume in voller Blüte standen und die Kletterrose am Tee-Pavillon zu neuem Leben erwachte. Eine gepflasterte, von einer kniehohen Steinmauer eingefasste Terrasse über die gesamte Breite des Hauses bot einen weiten Blick in die Landschaft.
Auf der rechten Seite grenzte ein Zaun ein weiteres Grundstück ab, auf dem ein eineiiger Zwilling des Storchenmastes stand. Jenseits des Nachbargartens machte Pippa einen Teich und einen Fußweg aus, der durch Felder und schließlich über eine kleine Brücke führte, bis er in eine Pappelallee mündete. Gleich dahinter, an einer Wegkreuzung, erhob sich eine traditionelle Bockwindmühle mit spitzem Giebel. Aus Pippas Perspektive wirkte die Mühle, als würde sie in der klaren Morgenluft schweben. Wenn das die Behausung des Spökenkiekers war, dann hatte er sich zwar ein unkonventionelles, aber sehr romantisches Domizil ausgesucht.
Von der Terrasse her ertönte ein schriller Pfiff. Der vor dem Rad wartende Malamut lief schwanzwedelnd in Richtung Haus, gefolgt von dem Hund aus dem Rad, der mitten im Lauf geschickt aus seinem Trimmgerät sprang. Das Laufrad drehte sich weiter, wurde langsamer und hielt schließlich an. Es wird also allein durch die Muskelkraft der Tiere angetrieben, konstatierte Pippa beeindruckt.
Der dritte Hund stand behäbig auf und streckte sich. Dann verließ er das Dach seines kleinen Bungalows und spazierte gemächlich zum Gartentor. Dort wartete er geduldig auf Severin Lüttmann und seine Kameraden.
Christabel Gerstenknechts Stiefsohn ließ die Tiere hinaus aufs Feld und schloss gewissenhaft das Tor hinter sich. Dabei entdeckte er Pippa am Fenster, hob die Hand zum Gruß und deutete eine Verbeugung an. Die Hunde tobten in ihrer Vorfreude auf den Spaziergang um ihn herum und bellten ununterbrochen. Wenn dieses Spektakel jeden Morgen stattfindet, braucht niemand im Dorf einen Wecker, dachte Pippa.
Aber Severin Lüttmann hob bereits einen Zeigefinger. Sofort verstummten die Hunde und setzten sich ruhig hin, so dass er ihnen Leinen anlegen konnte. Dann ging er mit ihnen über den Feldweg davon, ohne dass eines der Tiere gezogen oder ein Kräftemessen versucht hätte – wobei der schmächtige Mann ganz sicher chancenlos gewesen wäre.
Sieh an, die Hunde gehorchen ihm, dachte Pippa, er hat also Autorität. In Christabel Gerstenknechts Gegenwart wirkt er auf mich eher schüchtern.
Nachdenklich verfolgte sie seinen Weg bis zur Brücke, dann erinnerte sie sich an ihre Verabredung mit Melitta, noch vor dem Frühstück einen Rundgang durch das Haus zu machen. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und huschte über den Flur zum Bad. Im Erdgeschoss hörte sie die Haushälterin summend hin und her gehen. Dem Geschirrklappern nach zu urteilen, deckte sie bereits den Frühstückstisch.
Langschläfer sind die hier alle nicht, dachte Pippa. Da werde ich wohl früher ins Bett gehen müssen als sonst, um mit so viel morgendlicher Aktivität mithalten zu können. Bloß nicht Christabels Unwillen riskieren, indem ich morgens verschlafe. Sie kicherte, als sie sich vorstellte, wie die alte Dame reagieren würde: »Der von uns bereitgestellte Wecker scheint für Sie nicht auszureichen. Bei dem Salär, das ich Ihnen zahle, meine Liebe, erwarte ich, dass Sie notfalls ein Blasorchester
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