Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Sie. Ich benötige jemanden, der mich für zwei Wochen in meinem straffen Tagesplan unterstützt. Da mein Stiefsohn Severin verreisen wird, obliegt es mir, in meiner Manufaktur nach dem Rechten zu sehen. Dabei werden Sie mich begleiten. Ich wünsche zudem, dass Sie mir täglich vorlesen. Diese Aufgabe übernimmt normalerweise meine Haushälterin, die allerdings im gleichen Zeitraum ebenfalls nicht zur Verfügung steht. Des Weiteren lege ich Wert auf niveauvolle Konversation über aktuelle Themen. Von Gregor weiß ich um Ihr literarisches Interesse und Ihre tadellose Reputation, deshalb habe ich Sie ausgewählt. Sie finden anbei einen Scheck, der Ihnen die Zusage erleichtern wird, außerdem eine Zugfahrkarte, selbstverständlich erster Klasse, sowie alle nötigen Daten wie Termin und Adresse. Am Tag Ihrer Anreise werden Sie im Detail erfahren, worin Ihre Aufgaben bestehen. Ich freue mich, Sie in meinem Haus begrüßen zu dürfen, hochachtungsvoll … Christabel Gerstenknecht.«
Als Pippa geendet hatte, herrschte unter den Gästen in ihrem Arbeitszimmer einen Moment Schweigen. Dann sagte Karin perplex: »Diese Frau ist gewöhnt zu bekommen, was sie verlangt. Eine Absage zieht sie gar nicht in Betracht. Alle Achtung. Wo soll es denn hingehen?«
Pippa zog einen zweiten Bogen aus dem Kuvert. »Professor Meissner soll mich am Bahnhof in Wolfsburg abholen und zu Frau Gerstenknecht mitnehmen. Der Ort heißt Storchwinkel – nie gehört.«
»Aber ich!«, sagte Karin. »Das liegt in Sachsen-Anhalt, unweit der niedersächsischen Grenze. Storchwinkel ist ein Rundlingsdorf mitten in der Altmark.« Karin geriet ins Schwärmen. »Die Landschaft ist Erholung für die Seele: Caspar-David-Friedrich-Himmel über weiten Feldern, blitzblanke Dörfer und uralte Feldsteinkirchen.«
»Woher kennst du denn die Gegend?«, fragte Pippa.
Karin war in ihrem Element. »Wir haben da ein paarmal Urlaub gemacht: am Arendsee und im Naturpark Drömling – und irgendwo dazwischen liegt auch Storchwinkel. Übrigens auf Empfehlung eines Kleingartennachbarn auf Schreberwerder.«
Ehe Pippa nachfragen konnte, meldete Sven sich zu Wort: »Mama hat uns da mal auf eine Vogelstimmenwanderung gehetzt«, erzählte er und grinste. »Natürlich haben wir uns verlaufen. Meine Schwester war noch ganz klein und hat es nicht geschafft, über einen der unzähligen Wassergräben zu springen, als wir querfeldein zurück zur Straße wollten.«
»Ein Alptraum. Lisa war klatschnass und brüllte wie am Spieß.« Karin stöhnte in Erinnerung daran.
»Sie stank wie toter Fisch, und ihr ganzer Körper war mit diesem komischen grünen Algenzeugs überzogen«, erzählte Sven mit sichtlichem Vergnügen. »Sie wollte keinen Schritt mehr laufen. Wir haben am Straßenrand gehockt und gewartet, bis Papa uns mit dem Auto abgeholt hat.«
»Welche kulinarischen Spezialitäten gibt es denn in der Altmark?«, meldete Freddy sich mit seinem Lieblingsthema zu Wort. »Mir fällt nur Altmärkische Hochzeitssuppe ein. Und Tiegelbraten. Ein bisschen mager für so einen langen Aufenthalt. Ich würde den Auftrag ablehnen, Pippa.«
Aber Pippa hörte ihm nicht zu, denn sie hatte den Scheck gefunden. Fassungslos starrte sie auf die eingetragene Summe, dann blickte sie die anderen an. »Zweitausend Euro. Sie zahlt mir zweitausend Euro für zwei Wochen. Für ein bisschen Lesen und Konversation!«
»Dafür würde ich reden wie ein Wasserfall und mir einen eigenen Koch leisten«, rief Freddy begeistert. »Du nimmst natürlich an!«
»Natürlich nimmt sie an«, sagte Tatjana, »ich kann mich hier um alles andere kümmern.«
»Geht leider nicht.« Enttäuschung zeigte sich in Pippas Gesicht, als sie das gewünschte Anreisedatum entdeckte. »Ich soll am Mittwoch vor Ostern in Storchwinkel anfangen. Grandma – das ist genau die Zeit, in der ich dich und deine Seniorengruppe nach Paris begleite. Ich muss der alten Dame absagen.«
»Unsinn, du machst das«, widersprach Hetty Wilcox. »Die Reise schaffe ich auch allein. Viktor wird mir zur Seite stehen.«
»Mein Vater war zwar noch nie dort«, sagte Karin, »aber er kann wunderbar so tun, als ob.«
Tatjana hob die Hand wie für eine Wortmeldung in der Schule. »Paris? Da war ich schon oft, da kenne ich mich aus. Darf ich für dich einspringen? Ich bin sicher, ich verstehe mich super mit den älteren Herrschaften!«
»Eine wunderbare Idee, meine Liebe!« Hetty lächelte erfreut. »Ich nehme Ihr Angebot gerne an!«
Tatjana wickelt wirklich
Weitere Kostenlose Bücher