Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Nebel selbst ihn geformt, wäre da nicht der gelbliche Schnabel gewesen.
»Ich dachte, hier gäbe es nur Störche«, flüsterte Pippa.
Seeger schüttelte den Kopf und angelte sehr langsam, um den Vogel nicht zu verjagen, seine Digitalkamera aus der großen Hosentasche am Oberschenkel. Er hielt sie hoch und drückte ein paarmal ab. Durch das leise Geräusch des Auslösers wurde der Reiher aufmerksam, breitete seine Flügel aus und flog davon. Zufrieden begutachtete Seeger seine Ausbeute im Display der kleinen Kamera und verstaute sie wieder.
»Wunderbar!«, sagte er strahlend und rieb sich die Hände.
»Vogelliebhaber?«, fragte Pippa, obwohl sie die Antwort bereits ahnte. Die gesamte Gegend schien von diesem Virus befallen zu sein.
Seeger nickte. »Graureiher sind hier selten – bei den vielen Störchen.« Er deutete auf einen nahen Baum, in dessen Wipfel ein unordentlich wirkender Haufen Reisig hing. »Das ist ein Reihernest. Gebrütet wird im März und April, aber leider ist dieses Nest verlassen. Sie kommen nur zum Jagen hierher. Reiher wagen sich sogar an Wasserratten, die sie komplett hinunterwürgen. Mir sind von diesem Beobachtungsstand aus ein paar eindrucksvolle Schnappschüsse davon gelungen.«
Pippa war sich nicht sicher, ob sie dieses spezielle Motiv gerne sehen würde, behielt ihre Zweifel aber für sich.
Sie gingen weiter und betraten einen Plankenweg mit Geländer, der durch sumpfiges Gebiet führte. Seegers Schritte in den derben Schuhen hallten dumpf in der Stille des Nebels, der in zerfaserten Schwaden über den hohen gelblichen Gräsern schwebte.
Pippa blieb stehen und lehnte sich ans Geländer. »Selbst bei diesem Wetter ist es wunderschön hier. Bei Sonnenschein muss es das Paradies sein.« Sie blickte nach unten. »Sogar der Sumpf sieht friedlich und harmlos aus.«
»Das hat Severin senior auch geglaubt. Deshalb hat er sich nach einem nächtlichen Besuch im Storchenkrug ohne Taschenlampe hierher gewagt«, erwiderte Seeger seelenruhig. »Leider hat es ihn hier in den Morast gezogen. Ohne ein Heer von freiwilligen Helfern hätten wir ihn wohl nie gefunden. Er war über und über mit Entenflott bedeckt, als man ihn herauszog. Sie können sich nicht vorstellen, wie fürchterlich das stank!«
Pippa, die sich weit über das niedrige Geländer gebeugt hatte, um die Stelle besser sehen zu können, fuhr hastig zurück. Plötzlich hatte sie keine Lust mehr, hier zu stehen und die Landschaft zu bewundern. Sie ging rasch weiter, wobei sie sich in der Mitte des Plankenwegs hielt.
»Seitdem gibt es dieses Geländer«, erklärte Seeger.
Pippa schluckte, fing sich aber gleich wieder. »Und das Alkoholverbot, nehme ich an.«
»Nein, das gibt es erst seit drei Jahren.« Er blickte sie eindringlich an. »Ich wüsste ausgesprochen gern, warum Frau Gerstenknecht es damals erst erlassen hat. Natürlich bin ich besonders an schmutzigen Details interessiert.«
»Natürlich sind Sie das. Aber ich verspreche nichts. Ich werde höchstens weitergeben, was offiziell autorisiert wird. Und das auch nur dann, wenn es unsere Seite weiterbringt.«
Seeger nickte anerkennend. »Sie lernen schnell.«
»Woher wollen Sie wissen, dass ich gerade etwas lerne?«, fragte Pippa belustigt. »Abgesehen davon sollten Sie nicht vergessen, mit wem ich hier spazieren gehe. Es spricht doch für sich, dass ausgerechnet Sie mich brauchen, um an Informationen zu kommen.«
Der Kommissar seufzte theatralisch. »Glauben Sie mir, mein Angebot ist wirklich ganz ehrenhaft! Es geht nur um den Informationsaustausch zwischen staatlicher Ermittlungsbehörde und kundiger Hofberichterstatterin. Schließlich wollen wir doch der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen, indem wir den wahren Schuldigen überführen.«
Plötzlich wusste Pippa, an wen der erfahrene Ermittler sie erinnerte: an Rebecca Davis, die kluge englische Kommissarin, mit der zusammen sie die Morde im beschaulichen Hideaway aufgeklärt hatte. Rebecca glaubte fest daran, dass ein guter Polizist dem Volk aufs Maul schauen und gut zuhören sollte, weil das die Aufklärungsquote von Verbrechen deutlich erhöhte.
Seeger scheint ähnlich unkonventionell zu denken, überlegte Pippa. Davon können Christabel und ich nur profitieren, denn wir werden umgekehrt auch immer umfassend informiert sein.
»Mal abgesehen von den schmutzigen Details, die uns alle brennend interessieren«, sagte Pippa. »Was will die Polizei denn genau wissen?«
»Schön, dass Sie sich entschlossen haben, Ihrer
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