Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
sich, dass Christabel es warm genug hatte, dann ging sie hinauf in ihr Zimmer, um ihren Eltern telefonisch ein schönes Osterfest zu wünschen. Als niemand den Hörer abnahm, versuchte sie es bei ihrem Bruder. Sie stand am Fenster, darauf eingestellt, es lange klingeln zu lassen. Wenn die Wasserschutzpolizei ihm dienstfrei gab, pflegte Freddy sein Bett bis mittags nicht zu verlassen und auch dort zu frühstücken.
Sie runzelte die Stirn, als Freddy auch nach dem zwanzigsten Klingeln nicht abhob. Dass er um elf Uhr noch im Tiefschlaf liegen sollte, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Ob er die Kinder der Transvaalstraße 55 schon morgens in den Park von Rehberge begleitet hatte, um seinerseits Eier zu suchen? Bei seiner sprichwörtlichen Bequemlichkeit höchst unwahrscheinlich.
»Jetzt mache ich mir aber doch Sorgen«, murmelte sie und wählte kurz entschlossen die Nummer ihrer Freundin Karin. Schon nach zweimal klingeln hob diese ab.
»Pippa! Wie geht es dir?«
»Gut. Aber ich erreiche niemanden von meiner Familie. Hast du eine Ahnung, wo die sind? Ich halte es selbst bei Freddy für unwahrscheinlich, dass er jetzt noch schläft.«
»Jetzt noch? Du bist gut!« Karin lachte. »Als seine Schwester solltest du wissen, dass an einem freien Tag zehn Uhr für ihn noch tiefe Nacht ist.«
Pippa blickte auf ihren Wecker am Bett. »Versteh ich nicht. Es ist doch schon elf.«
»Offenbar liegt Storchwinkel in einer anderen Zeitzone. In Berlin ist es erst zehn.«
»Aber wir haben doch seit heute Nacht Sommerzeit! Ich habe gestern Abend extra alle Uhren eine Stunde vorgestellt.«
Karin lachte wieder. »Dann ticken sie bei dir tatsächlich anders. Wegen Ostern wurde die Umstellung zwischen die beiden Feiertage gelegt. Wir stellen erst heute Nacht um.«
»Hier ist so viel passiert, dabei ist mir das völlig entgangen!« Pippa seufzte theatralisch.
»Stopp!«, rief Karin aufgeregt. »Warte einen Moment!«
Pippa hörte, wie der Hörer abgelegt wurde, dann folgten eilige Schritte und Geschirrklappern. Sie wusste genau, was Karin jetzt tat, weil es sich bei unzähligen Telefonaten zwischen Berlin und Florenz eingespielt hatte: Sie goss sich Tee in einen Bierhumpen und setzte sich dann in den gemütlichen Sessel, der als ihr ausgewiesenes Hoheitsgebiet galt.
»So«, sagte Karin schließlich, »wir können. Du bist mein Osterei, Pippa: Du servierst mir akustische Leckerbissen, die ich weder suchen noch später wieder abtrainieren muss. Und wenn deine Familie wieder zurück ist, werde ich jedes schmutzige Detail farbenfroh ausschmücken und genüsslich weiterreichen. Gegen Gebühr.«
»Wo sind denn die anderen? Im Park?«
»In Paris.«
»Bitte?« Pippa glaubte, sich verhört zu haben. »Mit Grandma Hetty und Ede Glassbrenner auf Seniorenreise? Alle?«
»Samt und sonders. Seniorenreise kann man das kaum noch nennen: deine Eltern, Freddy, Sven … deine Homepage kannst du erst mal vergessen.«
Und ich sollte eigentlich auch jetzt dort sein, dachte Pippa sehnsüchtig, das wäre sicher um einiges problemloser. »Paris ist eben ein echter Magnet«, sagte sie.
»Paris? Wohl eher die holde Tatjana.« Karin kicherte.
»Verstehe. Wenn sich unsere Jungs da mal nicht ohne es zu ahnen eine zu große Aufgabe gestellt haben. Ich lerne auch gerade, wie sich das anfühlt.«
»Erzähl. Und nichts auslassen, wenn ich bitten darf.«
Pippa wollte gerade loslegen, als es an ihrer Tür klopfte.
»Warte einen Moment«, sagte sie zu Karin und rief dann: »Herein!«
Zu ihrer Überraschung kam Herr X ins Zimmer. Er trug eine karierte Schiebermütze und einen handgestrickten dunkelgrauen Pullover, auf dessen Brust ein Storch prangte. Wie immer war Pippa erstaunt, wie jugendlich der Mittdreißiger durch sein fast kindliches Gesicht und seine schlaksige Gestalt wirkte.
»Guten Morgen, Pippa. Hast du Lust, mich auf einer Fahrradtour durch meine Freiluft-Galerie zu begleiten? Ich könnte dir einige Nester zeigen, in denen die Storchenpaare auf hohem künstlerischen Niveau brüten!«
»Mit dem größten Vergnügen.« Pippa lachte über die von Herrn X benutzte Formulierung. Sie nahm das Telefon wieder ans Ohr. »Ich muss mich leider von dir verabschieden, Karin, aber wir holen das nach. Grüß bitte alle von mir, die in der Transvaal die Stellung halten. Und jetzt gebe ich dich weiter.« Sie drückte dem verdutzten Herrn X den Hörer in die Hand. »Für dich. Deine Nachbarin aus der Kleingartenidylle Schreberwerder. Ich
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