Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Hartung nach einem gemurmelten Abschied hastig das Weite gesucht hatte, fuhr Christabel fort: »Ich habe immer alles ausprobiert. Nur Motorrad gefahren bin ich nie. Der Helm ruiniert jede Frisur, es sei denn, man ersetzt ihn ganz durch sie.«
Pippa folgte Christabels Blick und unterdrückte ein Lachen. Gabriele Pallkötters helmartige Frisur wirkte wie frisch betoniert. Kein Windstoß, keine Gewehrkugel würde diesem Prunkstück aus Friseurkunst und Haarspray auch nur das Geringste anhaben können.
Bei dieser Frau bekommt das Wort »Betonkopf« eine völlig neue Bedeutung, dachte Pippa und spürte gleichzeitig, dass sie ihr den Schokoladentrüffel-Raub noch immer nicht verzeihen konnte.
In diesem Moment trafen sich ihre Blicke. Gabriele Pallkötter setzte ihr antrainiertes Lächeln auf und kam auf Pippa und Christabel zu.
»Meine Gratulation, verehrte Frau Gerstenknecht«, verkündete sie salbungsvoll. »Florian Wiek ist ein hervorragendes Beispiel, wie positiv sich finanzielle Unterstützung und moralische Unterweisung bei unterprivilegierten Kindern auswirken können.«
Christabel kniff für einen winzigen Moment die Lippen zusammen. Dann entspannte sie sich und entgegnete gelassen: »In Florians Fall haben Sie recht, Frau Pallkötter. Aber ich frage mich, warum beides bei Ihnen selbst so völlig wirkungslos bleibt.«
Gabriele Pallkötter erbleichte und schnappte nach Luft. Dann wechselte ihre Gesichtsfarbe zu Dunkelrot, und sie wandte sich brüsk ab und stürmte weg.
So aufgedreht habe ich Christabel noch nie erlebt, dachte Pippa, der Schlaf am Nachmittag hat sie mehr gestärkt, als für einige Menschen, die ihr heute in die Quere kommen, gut ist. Hartung und Pallkötter hat sie bereits in die Flucht geschlagen. Je eher Julius auftaucht, desto besser.
In ihrem blinden Zorn stieß Gabriele Pallkötter mit den Biberberg-Brüdern zusammen, die sich einen Weg durch die Menge bahnten. Zacharias Biberberg führte eine Frau am Arm, die deutlich jünger war als er selbst.
Pippa musterte die Frau und runzelte die Stirn. Woher kenne ich dieses Gesicht?, überlegte sie. Ist das seine Frau oder seine Tochter? »Das ist Daria, die Schwester der Biberbergs«, erklärte Christabel, als hätte sie Pippas Gedanken gehört, »verheiratete und wieder geschiedene Dornbier. Es ist mir ein Rätsel, warum die Leute nicht einfach ihren Geburtsnamen behalten. Niemand muss bei einer Heirat mehr den Namen des Partners annehmen. Bei der Scheidungsrate heutzutage würde das eine Menge Papierkram ersparen. Ich habe erst geheiratet, als unser antiquiertes Namensrecht endlich entsprechend geändert war – und darauf musste ich immerhin achtzig Jahre warten. Was sagt Ihnen das über die Gleichberechtigung in diesem Lande?«
Pippa fiel erst jetzt auf, dass die alte Dame nicht den Namen ihres Mannes trug. Sie selbst hatte nach italienischem Recht geheiratet und so ohne weitere Diskussionen mit Leo ihren eigenen Namen behalten dürfen. Dies war nicht nur ein Beispiel dafür, dass Christabel – ähnlich wie Gustaf Nagel – ihrer Zeit immer ein wenig voraus war, sondern auch dafür, dass diese Gegend offensichtlich starke Charaktere hervorbrachte.
Christabels Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
»Zu repräsentativen Terminen wird Daria immer aus Wolfsburg angekarrt. Der gute Zacharias plant noch einen großen Auftritt, sonst hätte er seine Grace Kelly nicht dabei.«
Stimmt, dachte Pippa, sie hat etwas von Grace Kelly. Und darüber hinaus etwas, das ich nicht fassen kann, das aber ein merkwürdiges Gefühl in meiner Magengrube hervorruft.
Die Biberbergs nebst Begleitung standen jetzt mitten auf dem Vorplatz, und Sebastian Brusche hielt ihnen ein Diktiergerät entgegen. Nach und nach umringten immer mehr Neugierige die Gruppe, um dem Interview zu lauschen.
Für Zacharias Biberberg boten die Fragen des Lokalreporters einen willkommenen Vorwand, um eine lautstarke Rede an seine potentiellen Wähler zu halten.
»Kultur ist Baumkuchen für den Geist«, verkündete der Bürgermeister pompös. »Deshalb sage ich: Das Storchendreieck braucht ein zeitgemäßes Dorfgemeinschaftshaus, damit junge Künstler wie Josef Krause, auch bekannt als Herr X, dort ausstellen können. Oder damit jemand wie Florian Wiek, dem wir alle heute lauschen durften, mit seinem Orchester eine angemessene Bühne hat, ohne dass die Musiker nach Salzwedel ausweichen müssen! Kulturelles Leben muss direkt vor Ort stattfinden!«
Natürlich hat er darauf spekuliert,
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