Insel, aus Traeumen geboren
Studenten zum Professor des Jahres gewählt worden bist.“
„Darüber habe ich mich auch sehr gefreut. Die jungen Leute sind mir sehr ans Herz gewachsen. Zumindest diejenigen, die während meiner Vorlesungen nicht einschlafen.“
„Was weißt du sonst noch über die schöne Roxane?“
„Nichts Neues außer den Schauermärchen, die jeder kennt. Sie hatte seine zweite Frau töten lassen und war nach seinem Tod zu seiner Mutter gezogen. Ich kann dir nur sagen, was ich nicht weiß, nämlich wo sie begraben liegt.“
„Hoffentlich bist du nicht allzu sehr enttäuscht, wenn diese Grabstätte hier doch nicht Roxanes ist.“
„Nein, das nicht. Ich hoffe nur, dass uns keiner zuvorgekommen ist.“
„Das hoffe ich auch. Es spielt auch keine so große Rolle, wessen Grab es ist, solange wir damit eine Wissenslücke bezüglich dieser Periode schließen können. Deshalb wollte ich auch, dass du mit dabei bist.“
„Um eine Wissenslücke zu schließen?“, murmelte sie. Natürlich. Warum sonst? Sicher nicht, um mit ihr über die Scheidung und andere persönlichen Dinge zu sprechen.
„Niemand kennt sich mit Grabstätten aus dem hellenistischen Zeitalter besser aus als du“, fügte er hinzu.
Statt sich über sein Lob zu freuen, war Olivia plötzlich den Tränen nahe. Doch es war ihre eigene Schuld. Wie hatte sie sich auch einbilden können, dass Jack sie in seinem Team hatte haben wollen, weil ihm klar geworden war, dass er ohne sie nicht leben konnte? Nun, er hatte deutlich klargemacht, dass dies nicht der Fall war. Es war an der Zeit, der Realität ins Auge zu blicken.
„Ich bin auch noch nie zum Professor des Jahres gewählt worden“, fuhr Jack fort. „Diese Ehre wird mir kaum jemals zuteil werden.“
„Warum nicht? Es ist nur eine Frage der Zeit. Deine Studenten himmeln dich an. Reicht dir das nicht?“
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ich werde nie ein so guter Lehrer wie du sein. Und du weißt auch, warum. Ich besitze weder deine Geduld noch deine Ausdauer. Du kennst ja meine Fehler besser als jeder andere.“
Richtig. Sie sollte sich seine Unzulänglichkeiten immer wieder vor Augen halten. Seinen Stolz zum Beispiel, der schon an Arroganz grenzte. Oder seine etwas zu ausgeprägte Selbstsicherheit. Seine Rücksichtslosigkeit, mit der er sich über alles und jeden hinwegsetzte, um sein Ziel zu erreichen. Zu seiner Ehrenrettung musste sie allerdings auch zugeben, dass er einen brillanten Intellekt hatte und hart arbeitete. Freunde und Feinde bewunderten ihn deswegen gleichermaßen. Er war ambitioniert, und er benutzte seine Studenten, um seine Forschungen voranzutreiben. Doch er würdigte stets ihre Verdienste. Er war ein fantastischer Dozent und gab gerechte Benotungen. Dass er sie nicht mehr liebte, konnte sie ihm nicht anlasten. Es war eine Tatsache, die sie besser akzeptierte.
„Hatten wir nicht gerade von Alexander und seiner Frau gesprochen?“, kehrte sie wieder zum Thema zurück. „Ich frage mich, warum alle unsere Gespräche immer wieder im Persönlichen enden“, stellte sie fest, ohne unbedingt eine Antwort zu erwarten. „Im Übrigen hatte auch Alexander der Große seine Fehler. Er war rachsüchtig und militaristisch, aber auch ebenso brillant wie charismatisch.“
Zum Glück waren sie jetzt am Ziel angelangt.
„Wir gehören zum Archäologenteam“, erklärte Jack dem Wachposten und zeigte ihm seinen Ausweis. Dann durften sie ihren Weg durch das breite Holztor fortsetzen.
„Das ist neu“, bemerkte Olivia. Als sie vorbei an wogenden Weizenfeldern und grasenden Schafherden fuhren, musste sie wieder daran denken, wie aufgeregt sie beim ersten Mal gewesen war, als sie sich der antiken Grabstätte genähert hatten.
Inzwischen war sie älter und erfahrener geworden. Im Gegensatz zu anderen Ausgrabungen, an denen sie teilgenommen hatte, stand hier auf Hermapolis wesentlich mehr auf dem Spiel, und sie hatte mehr zu verlieren. Jack zum Beispiel. Als ob sie ihn nicht schon vor zwei Jahren verloren hätte.
Wenn es um ihre Arbeit ging, wusste Olivia, was sie wollte. Bezüglich ihres Privatlebens war sie sich da nicht so sicher. Doch bevor sie sich weiter Gedanken darüber machen konnte, hielten sie schon an einem zweiten Tor mit ebenfalls einem Wachposten.
„Diesmal haben wir mehr Sicherheitsvorkehrungen getroffen“, erklärte Jack, „die sich hoffentlich als unnötig erweisen werden.“ Er zeigte erneut seinen Ausweis, dann parkten sie auf der anderen Seite des Tores in einem
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