Insel der glühenden Sonne
log sie.
Sean schien ein wenig enttäuscht von der Antwort. Sie fürchtete schon, sie hätte zu viel gesagt, und brach an diesem Tag ziemlich unvermittelt auf.
Louise unternahm nun tägliche Ausritte, obwohl ihre Mutter es missbilligte, und suchte immer wieder den Pfad am Bach auf. Die Wochen vergingen, doch sie traf Sean nicht mehr dort an.
Inzwischen arbeiteten zwei Männer in Mr. Warboys Garten, und Louise war so fest entschlossen, mit Sean zu sprechen, dass sie stets einen Zettel bei sich trug, den sie ihm beim nächsten Besuch im Hause Warboy zustecken wollte.
Leider war auch dort keine Spur von Sean zu entdecken, und sie gab die Nachricht schließlich einem der Arbeiter mit der Bitte, sie weiterzuleiten.
Auf dem Zettel stand nur: »Sie müssen kommen.«
Was er auch tat. Gleich am nächsten Tag fand sie ihn an der vertrauten Stelle vor und seufzte erleichtert.
»Wo sind Sie bloß gewesen?«, fragte sie atemlos, als sie aus dem Sattel glitt. »Ich habe Sie vermisst und schon gefürchtet, Sie mögen mich nicht mehr.«
»Ach, so ein Unsinn. Aber der Boss hat herausgefunden, dass wir befreundet sind, und hält nichts davon.«
»Aber es geht ihn nichts an.«
»Leider doch.«
Louise schmollte. »Dann treffen wir uns eben außerhalb Ihrer Arbeitszeit. Das ist doch nicht verboten, oder?«
»Wohl kaum«, sagte er leicht verärgert. »Ich kann jederzeit Ausgang bekommen, wenn ich meinem Arbeitgeber den Grund dafür erkläre und eine Erlaubnis bei mir trage, die er mir unter diesen Umständen allerdings nicht erteilen wird.«
Er wollte sie nicht verletzen. Er genoss ihre Gesellschaft, ihr Flirten wirkte wohltuend normal, doch erinnerte sie ihn zu sehr an seine geliebte Glenna, die für immer verloren war.
»Ich habe Sie doch auch allein in der Stadt gesehen.«
»Bei Besorgungen, meine Liebe. Dafür hatte ich eine Erlaubnis.«
»Und?«
»Was und?«
»Wir könnten uns in der Stadt treffen.«
»Miss Harris, Sie sind das netteste Mädchen, das ich seit einer Ewigkeit getroffen habe, aber die Gesellschaft von Sträflingen ist nichts für Sie. Damit gefährden Sie nur Ihren guten Ruf.«
»Herrgott, Mr. Shanahan, Sie hören sich an wie meine Mutter!«
»Was nur heißen kann, dass ich Recht habe.«
»Ich könnte mit Mr. Warboy sprechen. Er ist so nett …«
»Immer mit der Ruhe!«
Er ergriff die Zügel und half ihr beim Aufsitzen. »Hören Sie gut zu. Er mag nett sein, ist aber vor allem mein Boss. Reden Sie auf keinen Fall mit ihm über mich. Für ihn bin ich nur ein Sträfling, eine Unperson. Ein weißer Nigger.«
»Reden Sie nicht so melodramatisch. Ich kenne mich mit den Sträflingen aus. Sie gehören zur besseren Sorte, das wissen Sie genau. Irgendwann wird man Sie freilassen.«
»Ich habe lebenslänglich«, erwiderte er verdrossen. »Straferlass hieße für mich, dennoch mein ganzes Leben auf der Insel zu verbringen.«
»Wäre das so schlimm?«
»Sie können trefflich streiten, was? Die Insel an sich ist wunderschön, aber wenn man gezwungen ist, hier zu leben, fühlt man sich immer wie ein Verbannter.«
Louise beugte sich vor. »Warum nehmen Sie nur alles so furchtbar ernst?« Sie lenkte das Pferd auf den Weg. »Wenn meine Gegenwart Sie stört, werde ich Sie nicht mehr behelligen.«
»O Gott«, murmelte er, als sie davonritt. Er wollte ihr nachrufen, dass auch er Rechte besaß, dass sein Vergehen keine lebenslängliche Strafe verdiente, doch sie würde ihn ohnehin nicht verstehen. Sie gehörte jetzt zu den Bürgern der Strafkolonie und betrachtete das System als etwas ganz Normales. So wie Warboy in seiner Heimat die Sklaverei als ganz normal empfunden hatte.
Sean sprang über die niedrige Mauer und lief über die Weide, auf der die Schafe friedlich grasten. Alles wirkte so idyllisch wie auf einer Ansichtskarte. Dabei war dies hier genau die Stelle, an der mutige Soldaten als Vergeltung für einen unbedeutenden Zwischenfall zweiundzwanzig unschuldige Schwarze erschossen hatten, darunter fünf Frauen und drei kleine Kinder. Hier hatten
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