Insel der Rebellen
Bereits als Jugendlicher hatte er ein Strafregister, das von Schuleschwänzen und Katzenan-zünden bis zu schwerer Körperverletzung und Mord reichte. Obwohl der Staat Virginia ihn vor einigen Jahren endlich abgeurteilt hatte, war es ihm gelungen, aus dem Hochsicherheitstrakt eines Zuchthauses auszubrechen, indem er eine Schlinge aus einem Laken fertigte und so tat, als hätte er sich an seinem Bett aus rostfreiem Stahl erhängt.
Als der Vollzugsbeamte A. P. Pinn den Häftling Smoke mit verdrehten Augen und heraustretender Zunge auf dem Boden liegen sah, riss er die Zellentür auf und lief hinein, um festzustellen, ob der Gefangene noch lebte. Was durchaus der Fall war, denn Smoke sprang auf und knallte Pinn das Essenstablett mit dem Hackbraten auf den Kopf. Rasch schlüpfte er in Pinns Uniform, setzte dessen Sonnenbrille auf und spazierte aus der Strafvollzugsanstalt, ohne erkannt zu werden. Anschließend hatte Pinn ein Buch über seine Leidensgeschichte geschrieben und im Selbstverlag veröffentlicht. Doch Ver(b)raten hatte sich nicht besonders verkauft. Seither versuchte Pinn sein Glück als Talkshow-Moderator bei einem lokalen Privatsender, die Sendung hieß Unter vier Augen mit Pinn.
Smoke schaute Pinnauge, wie er die Show nannte, jede Woche, um sich davon zu überzeugen, dass es keine neue Spur von seinem Verbleib gab und niemand ahnte, dass er der Anführer einer Bande von Straßenpiraten war.
Irgendwie war er ein bisschen enttäuscht, dass Pinn ihn nie weiter erwähnte, abgesehen von dem Gejammer über das Trauma, das man davontrage, wenn man unversehens so unsanft von einem Braten am Kopf getroffen werde.
Wer es nicht erlebt habe, könne sich keine Vorstellung davon machen.
Pinns Show hatte gerade begonnen. Smoke und seine Gang hockten in ihrem geklauten Winnebago-Wohnmobil hinter ein paar Kiefern auf einem verlassenen Grundstück im Norden der Stadt. Smoke richtete die Fernbedienung auf den Fernseher und stellte ihn lauter, während Pinn in die Kamera lächelte und mit Reverend Pontius Justice über das Neighborhood Watch Program plauderte, eine Art Bürgerwehr, die der Reverend gerade in Shockhoe Bottom, in der Nähe des Marktes, ins Leben gerufen hatte.
»Was für 'n Wichser!«, sagte Smoke und nahm einen kräftigen Schluck Old Milwaukee. »Der hält sich echt für 'ne große Nummer.«
Pinn trug einen zweireihigen, glänzend schwarzen Anzug, passend dazu ein schwarzes Hemd und eine schwarze Krawatte und hatte seine großen Zähne offensichtlich gebleicht. Als Smoke noch einsaß, hatte Pinn immer eine Brille mit dicken, getönten Gläsern aufgehabt. Anscheinend trug er jetzt Kontaktlinsen, vermutlich blinzelte er deshalb ständig in die Kamera.
»Was glaubt der, was das ist? Die Oscar-Verleihung? Hier, das is die Beule, die ich ihm mit dem Braten-Tablett verpasst hab.«
Smoke zeigte auf die Stelle.
»Die Beule am Hinterkopf hat er schon immer«, sagte Cat, der älteste der Straßenpiraten. »Früher hat er seine Birne bloß nich rasiert und mit Wachs poliert, so wie jetzt. Da fällt die Beule mehr auf. Mann, glänzt dem sein e Kugel. Da brauchste ja 'ne Sonnenbrille, so blendet das.« Cat blinzelte durch den Zigarettenrauch und schnippte die Asche in eine Bierdose.
»Was nimmt der wohl für 'n Wachs?«, fragte Possum, ein anderer Straßenpirat, der mitgenommen und kränklich aussah und seine Tage im abgedunkelten Zimmer vor dem Fernseher verbrachte. »Bienenwachs? He, vielleicht is es dieses Bed Head. Erinnert ihr euch noch an den Typ, von dem ich die Knarre gekauft hab? Hab ihn gefragt, wie er sein' Kopf so glänzend kriegt, und er sacht, er nimmt dieses Bed Head, was er in New York in so 'nem Kosmetikladen gekauft hat und was zwanzig Dollar das Stück kostet! Das ist so 'n Stift, den drehste raus, und dann schmierste dir das aufn Schädel wie 'n Deostift ...«
»Der Arsch tut sich Deo auf'n Kopf?«, fragte ein dritter Straßenpirat, mit Namen Cuda. Benommen starrte er auf Pinns polierte Glatze.
»Halt's Maul!« Smoke drehte noch lauter.
Pinn kam nämlich auf das Thema zu sprechen, für das sich Smoke interessierte.
»... In Ihrem Buch Ver(b)raten«, bemerkte Reverend Justice in einem Polstersessel vor einer Sperrholzwand, auf die ein Bücherbord und ein fröhlich flackernder Kamin gemalt waren, »haben Sie sich eingehend darüber geäußert, dass Nachbarn wirklich Nachbarn sein sollten, statt einfach nur nebeneinander zu wohnen, wenn ich Sie richtig zitiere.«
»O ja, das habe ich
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