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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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früher Feuerwehrwagen gezogen haben musste, war an einem Zaun angebunden. Dahinter stand ein Gefährt, das man nur als Karre bezeichnen konnte. Es hatte zwei Räder, einen Doppelsitz und ein Verdeck. Ich blickte zum grauen, wolkenverhangenen Himmel empor und wünschte, wir hätten ein richtiges Auto. Oder wenigstens eine geschlossene Kutsche wie die, die mich am Tag zuvor zum Manitou Inn gebracht hatte.
    »Das ist Tinkerbell«, stellte William Archer vor, dabei streichelte er die Nüstern des Pferdes.
    Ein Name, den man aus Peter Pan von einer zierlichen Fee her kennt, für ein so massiges, muskulöses Tier! Ich musste grinsen. »Ich hatte einmal ein Kätzchen, das auch Tinkerbell hieß«, neckte ich ihn. »Zu ihr hat der Name gepasst ….«
    Er hielt mir nur lachend eine Hand hin, um mir beim Einsteigen behilflich zu sein, dabei spähte er zu den Regenwolken empor. »Ich hoffe, wir schaffen es noch, bevor es anfängt zu gießen.«
    Das hoffte ich auch, denn in der Ferne hörte ich bereits Donnergrollen. »Wie weit ist es denn?«
    »Nur ein paar Meilen. Hügelaufwärts zur Klippe.«
    Er band das Pferd los, kletterte auf den Kutschbock, nahm die Zügel, sagte: »Hüh, mein Mädchen«, und schnalzte mit der Zunge.
    Dann fuhren wir los. Im Schneckentempo. Tinkerbell hatte es allem Anschein nach nicht eilig, mich zu meiner Vergangenheit zurückzubringen, und schien sich auch an dem drohenden Regen nicht zu stören. Ich dagegen konnte nicht schnell genug vorankommen. »Da bin ich ja zu Fuß schneller«, murrte ich mit einem verstohlenen Blick zu William Archer.
    »Sie können jederzeit vorauslaufen, wenn Ihnen danach ist. Aber fallen Sie nicht dahinter zurück. Hinter einem Pferd kann es ziemlich unangenehm werden.«
    Ich lachte. »Ihr müsst doch auf der Insel einen ganzen Haufen Leute haben, der nichts anderes tut, als hinter euren Gäulen herzufegen. Seit ich hier bin, habe ich jedenfalls noch keinen einzigen Pferdeapfel gesehen.«
    »Das haben wir in der Tat«, grinste er. »Es ist einer der beliebteste Jobs hier und hauptsächlich den verwöhnten Kindern reicher Sommerurlauber vorbehalten.«
    Ich war dankbar dafür, dass er versuchte, die Stimmung etwas aufzulockern. Je mehr wir uns nämlich Madlyn Cranes Haus näherten, desto stärker wurde ich mir meines früheren Lebens auf Grand Manitou bewusst. Fast meinte ich plötzlich daran zu ersticken, aber das Geräusch von Tinkerbells Hufen übte zusammen mit dem Schaukeln des Wagens eine beruhigende, fast hypnotische Wirkung auf mich aus. Fast schien es wie der Herzschlag der Insel.
    »Ein schönes Geräusch«, murmelte ich. »Fast wie aus der Vergangenheit, nicht wahr? Unsere Vorfahren hörten es sicherlich täglich, es war ein fester Bestandteil ihres Lebens, aber in unserer Welt existiert es kaum noch.«
    »Interessant, dass Sie das sagen! Ich stelle mir nämlich oft vor, wie es vor hundert Jahren in New York oder Chicago gewesen sein muss – keine Autos, alle Besorgungen wurden per Kutsche erledigt … überall Hufgeklapper … das war damals der Verkehrslärm. Vermutlich haben die Leute es gar nicht bewusst wahrgenommen, weil es so allgegenwärtig war und sie es immer hörten, wenn sie auf die Straße hinausgingen. Wir haben das alles durch Motoren ersetzt.«
    »Und Radios.«
    »Und jetzt klingeln überall ringsum die Handys. Das ist übrigens etwas, was mich auf die Palme bringt: das Privileg, ständig den lautstarken Privatgesprächen anderer Leute lauschen zu dürfen.«
    »Ich weiß, was Sie meinen. Ich kann das auch nicht ausstehen.«
    »Noch ein Grund mehr, Grand Manitou Island zu lieben«, bemerkte William Archer. »Kein Handyempfang.«
    Ich schielte zu seinem Ringfinger – kein Ring. Warum wohl nicht? Er war ein attraktiver, wahrscheinlich gut verdienender Anwalt. Eigentlich müssten ihm die Frauen doch in Scharen nachlaufen.
    »Also, Mr. Archer …«, begann ich.
    »Nennen Sie mich doch Will«, unterbrach er. »Das tun hier alle.«
    »Will.« Ich lächelte und vergaß prompt, was ich hatte sagen wollen. Eine Weile fuhren wir schweigend weiter. Das Schaukeln des Wagens und die gleichmäßigen Hufschläge lullten mich weiterhin ein. Meine Lider wurden schwer, und zum ersten Mal an diesem Tag sank mein in der Nacht in die Höhe geschossener Adrenalinspiegel, und eine von zu wenig Schlaf und zu viel Koffein hervorgerufene Erschöpfung breitete sich in mir aus. Ich wäre eingedöst, wenn nicht erneut das Donnergrollen erklungen wäre.
    »Wir sind fast

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