Insel der Schatten
der Küche Gesellschaft leisten und einen Tee oder vielleicht auch etwas Stärkeres trinken?«, schlug er vor. »So wie es draußen aussieht, wird es noch eine ganze Weile regnen.«
»Meinst du, das ist in Ordnung?« Ich kam mir vor wie ein Eindringling. Als könnte der wahre Besitzer dieses Hauses jeden Moment hereinkommen und empört fragen, was wir hier zu suchen hatten.
»Du hast immer noch nicht begriffen, dass das alles jetzt dir gehört, Hallie.«
»Stimmt schon. Na gut, dann zeig mir die Küche«, bat ich zögernd.
Will führte mich durch Wohnzimmer, Halle und Esszimmer zurück in die Küche. Dort flogen meine Hände zu meinem Mund, um ein entzücktes Quieken zu unterdrücken. Von allen Räumen, die ich bislang gesehen hatte, gefiel mir dieser mit Abstand am besten.
Die Wände waren in einem gedämpften Rotton gestrichen, die Fensterrahmen bestanden aus dunklem Holz. Über einer langen Arbeitsfläche zogen sich Wandschränke bis zur Decke empor. Ich sah eine antike Anrichte mit Glastüren, die mit einem Porzellanservice und verschiedenen Gläsern gefüllt war. Über der Spüle hing ein Bord mit bunten Tellern. Auf einem kleinen Regal standen Kochbücher, rund um eine freistehende Kücheninsel in der Mitte reihten sich ein paar hohe Hocker, und über dem riesigen Herd hingen Kupfertöpfe und Pfannen. Ein langer Tisch samt Stühlen nahm die Ecke bei der Hintertür ein. Und in einer anderen Ecke stand ein kleines Sofa, das dazu einlud, es sich dort mit ein paar Rezepten bequem zu machen und das Abendessen zu planen.
»Madlyn hat oft Dinnerpartys gegeben«, erklärte Will, als wäre er der Fremdenführer durch die rätselhafte Welt, die meine Mutter bewohnt hatte. »Sie hat es geliebt, die verschiedensten Menschen zusammenzubringen, und pflegte Professoren, Künstler, Banker, aber auch einfache Gärtner oder Töpfer einzuladen – Menschen aus allen Lebensbereichen eben. Diese Küche wurde viel benutzt.«
Ich hatte immer in Häusern oder Wohnungen mit karg und funktionell eingerichteten Küchen gewohnt: langen, schmalen Räumen mit Metallschränken und einem in eine Ecke gequetschten kleinen Tisch. Dieser Raum jedoch strahlte Leben und Wärme aus. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft auf der Insel fühlte ich mich wirklich fast wie zu Hause.
»Mein ganzes Leben lang habe ich mir eine große alte Küche wie diese hier gewünscht«, sagte ich, aber die Worte drohten mir im Hals stecken zu bleiben. »Genauso eine wie diese.« Ich sah Will an. »Wenn ich mir das ausgemalt habe, habe ich mich vielleicht in Wirklichkeit an diese hier erinnert, nicht wahr?«
»Gut möglich.« Will suchte in einem der Schränke nach Tee. »Das ergibt durchaus einen Sinn. Je mehr du von deiner alten Umgebung siehst, desto mehr Erinnerungen kommen zurück.« Er griff nach einer Blechdose, füllte einen Kessel mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. »Möchtest du den Rest des Hauses erkunden, während ich uns Tee mache?«, fragte er.
»Ich möchte hierbleiben.« Vorsichtig kletterte ich auf einen der hohen Hocker.
Wir saßen eine Zeit lang in der Küche, tranken Tee und knabberten Kekse, die Will in einer weiteren Dose in einem der Wandschränke gefunden hatte. Die Hunde liefen eifrig schnüffelnd umher und ließen sich schließlich auf dem Boden nieder. Wir unterhielten uns über Belangloses – wo er studiert hatte, wie es mir in meinem Wohnort nördlich von Seattle gefiel –, aber hauptsächlich lauschten wir dem gegen die Fenster trommelnden Regen und dem Grollen des Donners.
Plötzlich erwachte ich ruckartig und sah mich verwirrt um. Es war schon fast dunkel. Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte ich, dass ich, mit einer Decke zugedeckt, auf dem Sofa im Wintergarten lag. Einer der Hunde hatte sich neben mir auf dem Boden ausgestreckt, sein großer Kopf ruhte neben meinem auf dem Polster. Ich schüttelte den Kopf, um den Nebel daraus zu vertreiben.
Jetzt fiel mir alles wieder ein. Will und ich hatten uns mit unserem Tee in den Wintergarten zurückgezogen. Und dabei war ich eingeschlafen? So etwas Idiotisches.
Der Regen hämmerte immer noch gegen die Fenster, aber der Donner war verstummt. Als ich mich aufsetzte, sah ich im Raum nebenan Licht brennen. Ich tappte hinüber und fand William Archer lesend auf der Couch vor.
»Wie lange habe ich geschlafen, Will?«
»Nicht lange. Eine halbe Stunde vielleicht.« Er klappte das Buch zu, legte es in seinen Schoß und lächelte mir zu. »Wir haben
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