Insel der Schatten
im Wintergarten den Sturm beobachtet, und ehe ich mich versah …« Er stieß ein schauerliches Schnarchen aus.
»O je«, lachte ich, als ich mich ihm gegenüber in den Sessel sinken ließ.
»Das war heute vermutlich alles ein bisschen viel für dich.«
Ich rieb mir die Augen. »Ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen, ich bin ja schon auf der Fahrt hierher fast eingenickt.«
Der Regen draußen klang, als stünde er kurz davor, in Schnee umzuschlagen. Bei der Vorstellung, den ganzen Rückweg in die Stadt in Wills Pferdewagen zurücklegen zu müssen, erschauerte ich. »Was für ein Transportmittel benutzt du denn, wenn es so regnet wie jetzt?«
»Wenn es nicht allzu schlimm ist, das das draußen steht. Aber an Tagen wie heute warte ich, bis der Sturm abgeklungen ist. Oder ich rufe Henry an und binde Tinkerbell hinten an seiner Kutsche fest. Aber bei so einem Wetter kommt er nur bis hier herauf, wenn es sich um einen Notfall handelt.«
»Was machen wir denn jetzt bloß?«
Will überlegte. »Wie wäre es mit Popcorn und einem Film? Ich habe gesehen, dass es einen DVD-Player und jede Menge DVDs gibt. Wenn wir damit fertig sind, hat der Regen vielleicht so weit nachgelassen, dass ich dich zu deiner Pension zurückbringen kann.«
Ich war nicht besonders begeistert davon, während dieses Sturms mit einem Mann, den ich kaum kannte, im Haus einer toten Frau festzusitzen. Aber nachdem ich mich tiefer in meinen Sessel gekuschelt, Will ein Feuer im Kamin entzündet und die Hunde sich vor mir zusammengerollt hatten, fühlte ich mich plötzlich fast wie zu Hause.
8
Einer Fahrt in einem von einem Pferd gezogenen offenen Wagen an einem verregneten Abend haftet nichts von dem Jahrhundertwendecharme an, den man vielleicht erwartet.
Es war ein kalter, feuchter Novemberabend, und mein Atem bildete vor meinem Mund kleine Wölkchen, während wir die schlammigen Straßen entlangrollten. Zuvor hatten wir uns einen Film angesehen und einen zweiten begonnen, bevor der Regen endlich nachgelassen und Will vorgeschlagen hatte, dass wir aufbrechen sollten, wenn ich noch in meine Pension kommen wollte.
Natürlich hatten wir auch erwogen, über Nacht zu bleiben. Allmählich gewöhnte ich mich daran, dass das Haus jetzt mir gehörte, und es gab genug Schlafzimmer und Bäder, um jedem von uns seine Privatsphäre zu garantieren. Aber es widerstrebte mir, nach oben zu gehen und einen Raum zu beziehen, in dem sich die persönlichen Dinge meiner verstorbenen Mutter befanden. Außerdem verspürte ich nicht den geringsten Wunsch, die Nacht mit Will unter einem Dach zu verbringen, egal wie weit unsere Zimmer nun voneinander entfernt lagen. Also stellten wir den Hunden frisches Futter und Wasser hin – Will erklärte, er habe einen Nachbarn gebeten, sie am Morgen ins Freie zu lassen – schlossen die Haustür ab, liefen zum Stall und spannten Tinkerbell an. Schon nach fünfminütiger Fahrt in der Kälte bereute ich meine Entscheidung zutiefst, behielt dies aber für mich.
»Will …« Mir kam plötzlich ein Gedanke. »In dem Testament stand doch, dass meine Mutter auch Pferde hatte. Wo sind die denn eigentlich?«
»Nebenan bei den Wilsons.« Er deutete die Straße hinunter. »Charlie und Alice kümmern sich gerne um sie, bis du dir überlegt hast, was du mit ihnen anfangen willst.«
Ich wusste tatsächlich überhaupt noch nicht, was ich tun sollte, aber vor allem der Tiere wegen musste ich wohl bald eine Entscheidung treffen. Die Hunde waren mir zwar schon ans Herz gewachsen, aber ich konnte sie schwerlich im Flugzeug mit nach Hause nehmen.
»Das wiederum führt zu der Frage, wie deine weiteren Pläne aussehen«, fügte Will hinzu.
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Nur eines steht fest: Ich werde das Haus auf keinen Fall verkaufen. Zu diesem Punkt hat sich meine Mutter unmissverständlich geäußert. Aber ansonsten? Keine Ahnung.«
Zum ersten Mal in meinem Leben schienen mir auf einmal alle Wege offen zu stehen. Eine Entscheidung hatte ich allerdings schon gefällt. Am nächsten Morgen würde ich als Erstes meinen Job kündigen. Ich würde meinen Chef anrufen oder ihm einfach nur eine E-Mail schicken. Ja, eine Mail war vermutlich das Beste. Es stimmte mich ein wenig verlegen, mir eingestehen zu müssen, dass die Kündigung meiner Abeitsstelle meine erste Amtshandlung als wohlhabende Erbin sein würde. Über zehn Jahre meines Lebens hatte ich einer Karriere gewidmet, die ich nun ohne zu zögern aufgeben würde.
Dann
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