Insel der Schatten
zumindest, dann sehe ich weiter. Ich habe noch keine konkreten Pläne.«
»Dann komme ich und helfe Ihnen, solange Sie hier sind.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Ich mache die Wäsche und putze und koche für Sie.«
»Also, das ist wirklich nicht nö…«
»Es macht mir überhaupt keine Mühe!«, unterbrach sie mich rasch. Vielleicht brauchte sie das Geld wirklich dringend. Oder sie wollte etwas zu tun haben, einen Grund, morgens aufzustehen.
»Gut«, lenkte ich ein. »Ich freue mich über Hilfe im Haushalt, und ich zahle Ihnen dasselbe, was meine Mutter Ihnen bezahlt hat. Irgendwo werden sich doch sicher ein paar Abrechnungen finden lassen.«
Iris nickte langsam, als sie in die Küche ging. »Angesichts der Umstände, unter denen Sie aufgewachsen sind, dürften Sie wenig über Ihre Mutter und Ihre Familie wissen, scheint mir. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen etwas darüber erzählen. Ich war ja die ganze Zeit hier.«
Ich musterte sie argwöhnisch, doch sie hielt meinem Blick unverwandt stand. »Das ist eine gute Idee«, meinte ich schließlich bedächtig. »Offen gestanden brenne ich darauf, so viel wie möglich über meine Mutter und meine Großeltern zu erfahren. Ich weiß über Madlyn Crane bisher nur das, was ich über ihre Arbeiten gelesen habe.«
Das entlockte Iris ein Lächeln. »Es wird mir eine Freude sein, Ihre Fragen so ausführlich wie möglich zu beantworten.«
Bislang war ich mir nicht sicher gewesen, wie ich etwas über die Geschichte meiner Familie in Erfahrung bringen sollte, aber nun war hier jemand, der mir dabei gute Dienste würde leisten können. »Das würde mir sehr viel bedeuten, Iris.«
Sie lächelte, zufrieden, wieder gebraucht und geschätzt zu werden. »Dann lasse ich Sie jetzt allein, damit Sie sich hier häuslich einrichten können«, sagte sie wieder in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. An der Tür drehte sie sich ein letztes Mal um. »Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, bevor ich gehe?« Ein eigenartiges, erwartungsvolles Glitzern war in ihre Augen getreten.
»Im Moment fällt mir nichts ein, danke«, gab ich zurück.
»Gut. Dann komme ich Montagmorgen wieder.« Mit diesen Worten schritt sie endlich durch die Küchentür, und ich stieß vernehmlich den Atem aus.
Meine Kehle fühlte sich plötzlich an wie ausgedörrt. Ich suchte im Kühlschrank nach etwas zu trinken und fand eine ungeöffnete Flasche Mineralwasser, doch nach zwei Schlucken fiel mir ein, dass meine verstorbene Mutter sie noch gekauft haben musste, und ich erschauerte.
Ich ließ die Flasche auf der Theke stehen, griff nach meinen Taschen, stieg die Treppe wieder hoch und ging zu dem großen Schlafzimmer zurück, in dem ich Iris überrascht hatte, einem riesigen Raum mit Kamin. An der Wand gegenüber des großen Bettes, das ein antikes Kopfteil aus Kirschholz besaß, hing ein Flachbildfernseher. Die Einrichtung bestand aus einem gelungenen Mix aus Alt und Neu – wirklich wunderschön. Auf dem Nachttisch stapelten sich Bücher: einige vor kurzem erschienene Bestseller, ein Sachbuch über die Entdeckung eines lange verloren geglaubten Buches der Bibel und ein Kreuzworträtsellexikon. Ich nahm sie nacheinander zur Hand und lächelte. Ihre Bettlektüre verriet mir mehr über meine Mutter, als ich während meiner gesamten Zeit hier auf Grand Manitou bislang erfahren hatte.
Ein Fenster, größer noch als das in Miras Pension, ging auf den See hinaus. Das schien bei vielen Häusern hier der Fall zu sein; die Insulaner liebten diese Aussicht offenbar ganz besonders. Als Nächstes guckte ich ins Bad. Zu meinem Entzücken entdeckte ich unter dem Fenster eine große Badewanne mit Klauenfüßen und eine gekachelte Dusche. Das Haus war zwar alt, aber offensichtlich hatte Madlyn es erst kürzlich renovieren und modernisieren lassen.
Neben dem Schlafzimmer lag ein Arbeitszimmer. Bücherregale zogen sich an den Wänden entlang, in eine Ecke war ein weiterer Kamin eingelassen, und überall hingen oder standen gerahmte Fotos. Vor die offene Feuerstelle hatte Madlyn zwei große Ledersessel gerückt, und auf der anderen Seite des Raumes stand ein Sofa.
Ich ging ins Schlafzimmer zurück, wo ich eine Tür öffnete, hinter der ich einen begehbaren Kleiderschrank vorfand, in dem auf beiden Seiten Kleider an langen Stangen hingen. Die Sachen meiner Mutter. Ich legte den Arm um einige Blusen und vergrub mein Gesicht in dem nach Flieder, Kräutern und Lavendel duftenden Stoff. Hinter meinen
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