Insel der schwarzen Perlen
wurde, wäre sie rechtzeitig zurück, um mit Stefan zu frühstücken. Sie schrieb ihm einen Zettel mit einer netten Nachricht, nahm Wasser und eine Banane mit und verlieà das Haus.
Es war ein herrlicher Morgen, und es würde wieder ein warmer Tag werden. Maja genoss die Einsamkeit in der Natur, so konnte sie ihren Gedanken ungestört nachgehen. Das luftige Kleid mit dem hawaiischen Blumenmuster und die neuen Flip-Flops mit Profil hatte Keanu ihr vor ein paar Tagen geschenkt, dazu einen kleinen Stoffrucksack. Sie begann sich trotz Bauch schon bald wunderbar unbeschwert zu fühlen, als sie durch den tropischen Wald ging, der hinter ihrem Haus begann. Zunächst ging es ein Stück bergauf, dann war die Steigung nur noch gering, und sie hatte zu ihrer Rechten einen traumhaften Blick über die Na-Pali-Steilküste. Vögel zwitscherten um die Wette, Sonne blinzelte durch saftiges Sommerlaub, und es roch betörend nach schwerem Blumenduft. In wenigen Stunden würde es zu heià für einen Spaziergang sein, doch sie war bereits an der Weggabelung, die zu dem Dorf führte, in dem Elisa einst mit Kelii und ihren Kindern gelebt hatte.
Das Dorf war schon vor langer Zeit zum Teil abgebrannt, bekam nur selten Besuch von Touristen und wirkte verwahrlost. Vereinzelte Steinruinen ohne Dach standen um eine beeindruckende Koa-Akazie, deren obere Hälfte verkohlt war, was ihre gewaltige Krone zu einer Seite wachsen lieÃ. Ein Vogelpaar erhob sich und flog schimpfend davon, es waren Alalas, vielleicht das Paar, das sie öfter unten am Haus gesehen hatte. Sie waren auf Kauai selten geworden. Vom Dorf bog sie links ab durch den Wald, dann auf den neuen Weg zum Wasserfall, der über eine kleine Brücke führte. Von hier aus konnte sie die gesamte Küstenlinie sehen, das Riff, und auch die Spitze der Bucht. Ãber ihr ragte der Versammlungsfelsen empor und warf in der Morgensonne seinen langen Schatten bis fast zum Meer. Wie von alleine trugen ihre FüÃe sie weiter zum Wasserfall, sie wollte dort Kraft für die Geburt tanken.
Bilder der Vergangenheit begannen sich in ihrem Kopf in den Vordergrund zu drängen, sobald Maja das von den Felsen herabstürzende Wasser hörte. Im Hochsommer war es kein beeindruckendes Tosen wie im Frühling nach den heftigen Regenfällen, es war eher das gleichmäÃig satte Rauschen eines Sturmwindes über dem Meer.
Da sah sie Elisa. Sie war nicht auf Kauai, sondern in den Bergen der Insel Oahu, mitten in den Ananasfeldern, die Maja im letzten Winter mit ihrem Vater besucht hatte. Elisa stand als entsetzte Beobachterin halb verborgen hinter einem Baum am Rand der Felder. Uniformierte WeiÃe jagten junge hawaiische Arbeiter durch Ananasfelder und prügelten wütend auf schutzlose Körper, wenn sie einen der jungen Männer erwischen konnten. Doch waren die jungen Männer schnell und wendig, und viele konnten entkommen. Elisa war persönlich betroffen, einer dieser jungen Männer war ihr Sohn Eli, zwei andere waren Ulanis Brüder. Elisa schien kurz davor einzugreifen. Doch etwas hielt sie davon ab.
Maja konnte nicht erkennen, was es war, auch hörte sie keine Geräusche auÃer dem Wasserfall, an dem sie stand, und wurde schlagartig müde. Sie wusste, Elisa wollte ihr etwas Wichtiges zeigen, doch dazu musste Maja erst in die Nebel-Welt finden. An dem vorderen groÃen Wasserbecken entdeckte Maja einen groÃen flachen Stein nicht weit vom Uferrand und watete durchs flache Wasser und durch die Wasserpflanzen, die dort wuchsen. Vielleicht war auch die Tausend-Nebel-Pflanze darunter, sie wusste es nicht.
Auf dem sonnenwarmen Felsen legte Maja ihr iPhone neben sich. Ihr Vater hatte versprochen, sich an diesem Morgen aus Honolulu zu melden. Dann machte sie es sich bequem, schloss ihre Augen und wartete auf Elisas Bilder.
Zunächst sah sie die ochsenblutrote Farbe, die hinter dem Schwarz ihrer Augenlider zu immer neuen Formen verschmolz wie der bedrohliche Code aus einer anderen Welt. Dann wurde es klarer, lichter und endlich kam der Nebel. Aus ihm heraus kristallisierten sich Elisas Bilder, diesmal mit Ton, als hätte Maja einen Film angeschaltet.
Weiter ging die Jagd nach den Ananasrebellen, und es schienen mehr zu werden, sowohl auf der Seite der Uniformierten als auch bei den Rebellen. Am Rand des Ananasfeldes standen Arbeiterinnen mit Babys auf dem Rücken, die dem Treiben ebenfalls zusahen. Einige sahen
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