Insel der schwarzen Perlen
Tausend-Nebel-Pflanze. Doch Elisa wollte sie nicht hören.
Seit die letzte Königin von Hawaii ihre Macht verloren hatte, wurde es immer schwieriger für die Kahuna. Auf den Inseln Hawaiis hatte eine Zeit der Finsternis begonnen. Nicht einmal mit ihren Freunden sprach Elisa über das, was sie in ihren Jahren mit Kelii und Eli auf Maui von den Kahunas gelernt hatte. Ihr Sohn Eli war alt genug, um zu verstehen, warum auch er unbedingt über die geheimen Lehren schweigen musste.
Der schillernde Vogel stand immer noch vor ihr. Er schrie wie ein hungriges Kind, immer wieder, bis in dem Herrenhaus ein Fensterladen aufgeklappt wurde. Ein Dienstmädchen jagte den Pfau mit dem Geklapper von Topfdeckeln fort.
Kurz darauf saà Elisa in der düsteren Eingangshalle mit den schweren Vorhängen hinter den Fensterläden und wartete darauf, von Janson empfangen zu werden.
»Pssst. Psssst.«
Zuerst konnte Elisa im Halbdunkel nicht sehen, woher das Geräusch kam. Dann sah sie die weiÃe Hand unter der schweren Decke, die über dem langen Tisch bis fast zum Boden reichte.
»Fräulein Vogel!«
»Victoria! Was machst du unter dem Tisch?«
»Ich warte auf Sie ⦠heimlich. Mein Vater hat mir alles erzählt ⦠heute hat er es mir gesagt!«
Aufgeregt streckte Victoria ihren Kopf unter der Decke hervor. Dann kam sie heraus. Sie war noch kindlich mit ihrem wilden Lockenkopf. Doch die groÃen graublauen Augen, umrahmt von dunklen langen Wimpern, sowie das ebenmäÃige feine Gesicht verströmten mädchenhaften Liebreiz. Vor allem wenn Victoria lächelte, konnte sie selbst die griesgrämigsten Freunde ihres Vaters aufheitern.
»Mein Vater hat es mir gesagt!«
Victoria hüpfte aufgeregt auf und ab. Etwas Spannendes war geschehen, Elisa musste raten.
»Du bekommst dein neues Pony?«
»Nein, das bekomme ich erst mit zwölf. Da muss ich noch warten. Rate weiter!«
Elisa wusste, Janson hatte ihr vieles versprochen. Sie riet und riet, doch Victoria schüttelte immer wieder den Kopf. Vor Aufregung konnte sie schlieÃlich nicht mehr an sich halten und platzte mit ihren Neuigkeiten heraus.
»Ich bekomme eine neue Mutter! Er hat es versprochen!«
Elisa hielt vor Schreck den Atem an. Was hatte Janson dem Kind versprochen? Elisa bemühte sich, möglichst neutral zu klingen.
»Wann bekommt du denn diese neue ⦠Mutter?«
»Weià ich nicht genau, aber es würde nicht mehr lange dauern, hat der Vater heute gesagt. Ich wünsche sie mir schon so lange ⦠Das wissen Sie doch.«
»Ja, das weià ich, Victoria. Du hast es mir schon oft erzählt ⦠Ein bisschen darf sie auch so sein wie ich, deine Wunschmutter, nicht wahr?«
Das Mädchen nickte und schwieg. Wie so oft kam Elisa sich dem Kind gegenüber armselig vor. Warum hatte sie sich nur damals auf Jansons grausames Spiel eingelassen?
Sollte Victoria je erfahren, was für eine Rolle Elisa in ihrem Leben gespielt hatte, würde sie ihr bestimmt nie verzeihen können.
Mit Elisas Einverständnis hatte man Victoria der Einfachheit halber erzählt, ihre Mutter sei bei ihrer Geburt gestorben. Bei der einen kurzen Begegnung auf dem Hibiskus-Ball war Victoria erst fünf gewesen. Sie nannte auch ihre Kinderfrau damals Mama. Zudem hatte Clementia die Mutterrolle weitgehend übernommen und vorgeschlagen, ihrer Enkelin die Schande zu ersparen. Mit der Geburt der Zwillinge war Elisa offensichtlich durchs Raster gefallen, so sah es zumindest ihre Mutter. Daher erzählte man Victoria ein nettes kleines Märchen über Elisa Vogel, ihre neue Gouvernante.
Elisa hieÃe zwar Vogel, so wie Clementia, sei aber nur eine entfernte verarmte Verwandte. Das war die offizielle Version, an die sich alle seit Jahren hielten, weil sie es für angebracht hielten.
Die Gouvernante Elisa Vogel hätte den Fehler gemacht, sich an einen kanaka zu verschenken, weswegen sie zu bedeutenden gesellschaftlichen Anlässen, wie dem jährlichen Hibiskus-Ball, nie eingeladen wurde.
Victoria war mit diesen Erklärungen zufrieden gewesen, hatte aber über die Jahre immer mal wieder bei Elisa nach weiteren Details gefragt. Stets hatte sie eine kindgerechte Antwort von ihr bekommen, die so wahrhaftig wie möglich war. Von der echten Wahrheit ahnte sie hingegen nichts.
Victoria liebte Elisa sehr, so, wie ein einsames Kind eine Frau liebt, die ihr Wärme und Geborgenheit
Weitere Kostenlose Bücher