Insel der Sehnsucht, Insel des Gluecks
wahre Beziehung zu Marisa ziehen. Marisa dagegen war weniger geschickt. Allein bei dem Vorschlag, mit Nikos spazieren zu gehen, zog sie einen Schmollmund. Und Chloe überlegte fieberhaft, wie sie die Szene verhindern konnte, die Marisa jetzt zweifellos plante.
Glücklicherweise kam ihr Madame Kriticos - wenngleich unwissentlich - zu Hilfe. "Ich würde sehr gern einen Spaziergang durch den Garten machen, auch wenn Marisa keine Lust dazu hat. Vielleicht begleitest du mich, Nikos? Dein Vater erwartet noch einen Anruf aus Athen."
"Ja, leider", wandte Alexandros sich entschuldigend an Leon.
"Es ha ndelt sich um eine wichtige geschäftliche Angelegenheit, die unsere vorzeitige Rückkehr nach Athen erforderlich machen könnte."
Chloe vermutete, das diese "wichtige geschäftliche Angelegenheit" lediglich Madame Kriticos' Fantasie entsprungen war. Mochte ihr Mann sich Leon noch so sehr verpflichtet fühlen, Christina Kriticos war zweifellos entschlossen, eine Heirat zwischen ihrem Sohn und Marisa zu verhindern, was Chloe ihr nicht verübeln konnte. Für sie bedeutete es allerdings, dass sie rasch handeln und ihren Pass finden musste. Am naheliegendsten war es, ihn in Leons Arbeitszimmer zu suchen, das sich im hinteren Teil des Hauses befand. Da Leon das Schlafzimmer mit ihr teilte, konnte sie nicht mit der Suche warten, bis alle anderen ins Bett gegangen waren, und morgen früh würde es möglicherweise schon zu spät sein. Was sollte sie tun?
"Begleiten Sie uns, Chloe?" fragte Madame Kriticos und stand anmutig auf.
"Wir werden alle gehen, auch Alexandros", mischte sich Leon entschieden ein. "Sollte der Anruf für Sie kommen, wird einer der Bediensteten Sie rufen. Eos bei Nacht sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen", fügte er hinzu. "Eingehüllt in die Dunkelheit, verbreitet die Insel einen Zauber wie eine Frau in Samt und Seide. Die Sinne werden nicht mehr abgelenkt durch das blendende Licht der Sonne, so dass man gezwungen ist, die Umgebung auf ganz andere, völlig neue Weise wahrzunehmen."
Hypnotisiert von seinen Worten, dachte Chloe daran zurück, wie es gewesen war, als Leon sie im Schutz der Dunkelheit gestreichelt und liebkost hatte ... wie sie all ihre Hemmungen abgelegt und sich zum ersten Mal ganz in ihrer Leidenschaft verloren hatte. Ja, wenn sie und Leon tatsächlich ein Liebespaar gewesen wären, hätte sie die Anwesenheit anderer Leute auf Eos sehr gestört. Sie beide hätten die Abreise ihrer Gäste herbeigesehnt, um allein durch die Nacht zu spazieren, sich zu küssen und vielleicht in einer der abgelegenen kleinen Buchten unter dem Sternenhimmel zu lieben.
"Alles in Ordnung, Chloe?"
Leons Frage brachte sie auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Alle anderen standen bereits an der Terrassentür, und plötzlich fiel ihr genau die richtige Ausrede ein, um Leons Arbeitszimmer ungestört durchsuchen zu können. "Ich habe etwas Kopfschmerzen", schwindelte sie. "Nicht s Schlimmes, aber wenn es dir und unseren Gästen nichts ausmacht, würde ich gern nach oben gehen und mich hinlegen."
"Unsinn, meine Liebe, Sie müssen mitkommen", protestierte Madame Kriticos. "Die frische Luft wird Ihnen gut tun. Leon, überreden Sie Ihre Frau ..."
"Komm schon, Leon, oder sollen wir die ganze Nacht hier warten?" mischte Marisa sich ein und warf Chloe einen verächtlichen Blick zu. "Wahrscheinlich hat sie überhaupt keine Kopfschmerzen. Heißt es nicht, das wäre die übliche Ausrede der Engländerinnen, wenn sie nicht mit ihrem Mann schlafen wollen?"
Es folgte betretenes Schweigen. Madame Kriticos rettete die Situation. "Wirklich, Leon, dieses Kind braucht eindeutig eine strengere Hand", sagte sie betont locker, und Chloe nutzte die Gelegenheit, sich zurückzuziehen, während Leon Marisa und seine Gäste auf die Terrasse hinausführte.
Chloe wartete noch eine Weile im Flur, bis sie sich ganz sicher sein konnte, dass die anderen nicht mehr in der Nähe des Hauses waren, bevor sie in Leons Arbeitszimmer ging. Nur einmal, als Leon sie durch die Villa geführt hatte, war sie in diesem Raum gewesen. Glücklicherweise schien der Vollmond so hell durch die Fenster herein, dass es nicht nötig war, Licht zu machen. Einziger Schmuck des betont schlicht eingerichteten Raumes waren das glänzend polierte Parkett und ein kostbarer Perserteppich. Eine der weißen Wände wurde ganz von hohen, teuren Einbauregalen und -schränken eingenommen, aber das beherrschende Möbelstück war ein großer Schreibtisch vor einem der
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