Insel der Sehnsucht, Insel des Gluecks
feindselig,
"obwohl du doch genau weißt, dass du ihm nichts bedeutest und er nur ein Baby von dir will."
"Wie könnte ich nicht hier bleiben?" entgegnete Chloe und drehte sich zu ihr um. "Leon hat immer noch meinen Pass."
"Du meinst, wenn du den hättest, würdest du verschwinden?"
fragte Marisa aufhorchend. "Aber wie?"
"Ich würde schon einen Weg finden", antwortete Chloe ausweichend. Sie traute Marisa nicht, auch wenn das Mädchen sicherlich ihre Abreise herbeisehnte. Wer konnte wissen, ob es seinem verdrehten Kopf nicht einfallen würde, sofort zu Leon zu gehen und ihre, Chloes, Pläne zu verraten?
"Du würdest wirklich von hier verschwinden?"
"Wie der Blitz." Chloe blickte erstaunt auf, als Marisa zielstrebig zur Tür ging. "Was hast du vor?"
"Ich werde dir deinen Pass holen. Leon hat ihn sicher in seinem Schreibtisch weggeschlossen, und ich weiß, wo er den Ersatzschlüssel aufbewahrt. Versprichst du mir, dass du von hier weggehst und nie wiederkommst, wenn ich dir deinen Pass bringe?" drängte Marisa
Chloe nickte. Im Grunde tat das Mädchen ihr leid. In vieler Hinsicht war Marisa kindisch und unreif geblieben - eine junge Frau, die durch ihre tragische Beziehung zu ihrem Halbbruder um eine normale Jugend betrogen worden war.
"Ich werde dir den Pass nach dem Essen bringen", sagte Marisa, bevor sie das Schlafzimmer verließ. "Wir treffen uns um neun am Swimmingpool."
Beim Abendessen war Marisa wie verwandelt. Alle
Aufsässigkeit war wie weggeblasen. Sie benahm sich so ausnehmend reizend und charmant, dass es ihr mehr als einen verwunderten Blick von Leon eintrug. Chloe fragte sich, was er wohl denken mochte, dieser Mann, der skrupellos genug war, das Mädchen, das ihn liebte - und das er liebte - zu einer ungewollten Heirat zu zwingen, um mit der Frau ein Kind haben zu können, die er nur geheiratet hatte, um seine schändliche Affäre mit seiner Halbschwester zu verdecken.
"Sie müssen uns unbedingt in Athen besuchen", lud Madame Kriticos Chloe ein. "Dann machen wir zusammen einen Einkaufsbummel. Leon, bringen Sie Ihre Frau doch einfach mit, wenn Sie das nächste Mal geschäftlich in Athen sind."
"Die nächsten drei Monate werde ich ganz bestimmt nicht nach Athen kommen", antwortete Leon fest. "Und dann könnte es gut sein, dass meine Frau sich für eine Weile nicht danach fühlt, eine Luft-oder Seereise zu unternehmen."
Marisa sah ihn überrascht an. "Aber wir gehen doch im Herbst immer nach Athen!"
"Dann wird dieser Herbst eben eine Ausnahme sein", erwiderte Leon ruhig. "Du kannst natürlich jederzeit gehen, Marisa. Es ist kein Problem, dich bei Freunden unterzubringen."
Hatte er denn gar kein Mitleid? Mitfühlend betrachtete Chloe Marisas blasses Gesicht. Leon musste doch sehen, wie hart seine Worte seine Halbschwester trafen!
Madame Kriticos hatte es offensichtlich bemerkt, denn als sie Chloe allein erwischte, sagte sie beschwörend: "Es geht mich vielleicht nichts an, meine Liebe, aber Marisa klammert sich viel zu sehr an ihren Bruder. Wenn Sie meinen Rat hören wollen, einige Monate in Athen unter der Aufsicht einer strengen Matrone wären genau das Richtige für sie."
Chloe gelang es mit einer Ausrede, pünktlich um neun am Swimmingpool zu sein. Zuerst glaubte sie schon, Marisa würde gar nicht kommen. Nach zehn Minuten wollte sie schon wieder gehen, als Leons Halbschwester doch noch auftauchte. In der Hand hielt sie Chloes Pass.
"Hier ist er", sagte sie und reichte ihn Chloe. "Ich habe meinen Teil des Handels erfüllt. Jetzt bist du dran. Und wenn du dein Versprechen nicht hältst, wirst du es bereuen, je geboren zu sein, das schwöre ich dir! Leon liebt mich und nur mich, verstanden?"
Sie war fort, ehe Chloe etwas erwidern konnte. Chloe blickte auf den Pass in ihrer Hand und atmete auf. Jetzt musste sie nur noch unbemerkt von allen anderen auf die Yacht gelangen und sich dort verstecken.
6. KAPITEL
Am Ende erwies es sich als überraschend leicht.
Madame Kriticos bestand darauf, dass keiner außer Leon sie zu ihrer Yacht begleitete. Zum einen war ein kühler Wind aufgekommen, zum anderen waren ihr große Abschiedsszenen sowieso ein Gräuel. Während Leon die Kriticos also mit ihrem Gepäck zur Yacht hinunterfuhr, schlüpfte Chloe im Dunkeln unbemerkt aus dem Haus und erreichte über eine Abkürzung abseits der einzigen Straße der Insel den Hafen, lange bevor der Jeep in Sicht kam.
An Bord war das Personal offenbar damit beschäftigt, die Yacht zur Abfahrt bereitzumachen.
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