Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
nicht ablehnen konnte. Und er war nur mit ihr in einem Zimmer, weil es sonst komisch gewirkt hätte.
»Du hast nicht geschlafen, oder?«
»Nein.«
Jo warf einen Blick auf die Uhr. Fünf nach drei. Um diese Zeit wach zu sein war ihr nicht unbekannt. »Vielleicht solltest du eine Schlaftablette nehmen.«
»Nein.«
»Ich weiß, daß das die Hölle für dich war, Nathan, aber du wirst damit leben müssen.«
»Auch Tom Peters wird damit leben müssen.«
»Vielleicht ist er ihr Mörder.«
Nathan hoffte von ganzem Herzen, daß es so war. Und kam sich deshalb schäbig vor.
»Sie haben sich gestritten«, fuhr Jo fort. »Sie ist rausgerannt. Er könnte ihr zum Strand gefolgt sein. Dort haben sie sich weitergestritten, bis ihm die Sicherung durchgebrannt ist. Dann ist er in Panik geraten und hat sie weggetragen. Er wollte sie möglichst weit vom Strand wegbringen, also hat er sie in den Fluß geworfen.«
»Menschen töten nicht immer im Affekt«, erwiderte er sanft. Bitterkeit stieg in ihm auf, schnürte ihm die Kehle zu.
»Ich habe kein Recht, in diesem Haus zu sein, bei dir zu sein. Was habe ich mir eigentlich eingebildet? Zurückzukommen. Was, zum Teufel, habe ich geglaubt, tun zu können?«
»Nathan, wovon redest du?« Sie ärgerte sich über das Zittern in ihrer Stimme. Aber sein Ton, sein harter, kalter Ton, machte ihr angst.
Er drehte sich um und starrte sie an, wie sie in dem riesigen Bett kauerte, die Knie schützend an die Brust gezogen, darüber wie ein bleicher Schatten ihr Gesicht. Ihm wurde klar, daß er viele Fehler gemacht hatte. Egoistische, dumme Fehler. Aber der größte von allen war, sich in sie zu verlieben und zuzulassen, daß sie seine Gefühle erwiderte. Jetzt würde sie ihn hassen. Ihr würde gar nichts anderes übrigbleiben.
»Nicht jetzt. Wir haben schon genug durchgemacht.« Es fiel ihm schwer, zu ihr hinüberzugehen. Genauso schwer, wie es sein würde, sie zu verlassen. Er setzte sich auf die Bettkante und strich ihr über den Arm. »Du mußt jetzt schlafen.«
»Du auch. Nathan, wir leben.« Sie nahm seine Hand und drückte sie auf ihr Herz. »Wir müssen da durch und weitermachen – nur das zählt. Diese Lektion habe ich gelernt.« Sie beugte sich zu ihm und berührte seine Lippen. »Und jetzt helfen wir uns gemeinsam durch die Nacht.« Ihre Augen waren dunkel, und auch als ihr Kopf aufs Kissen sank, ließ sie seinen Blick nicht los. »Liebe mich. Ich brauche dich.«
Er wehrte sich nicht, ließ es geschehen. Später würde sie ihn hassen. Aber für den Augenblick war Liebe genug.
Am nächsten Morgen war er verschwunden. Aus ihrem Bett, aus Sanctuary, von der Insel.
»Er hat die Morgenfähre genommen?« Fassungslos starrte Jo Brian an und begriff nicht, wie er Eier braten konnte, wenn die Welt in Trümmern lag.
»Ich hab’ ihn im Morgengrauen auf dem Weg zu seinem Cottage getroffen.« Brian warf einen Blick auf den Bestellblock. Krisen kamen und gingen, aber die Menschen konnten immer essen, dachte er. »Er sagte, er hätte etwas auf dem
Festland zu erledigen. Er meinte, es würde ein paar Tage dauern.«
»Ein paar Tage. Verstehe.« Kein Abschied, kein auf Wiedersehen. Kein Wort.
»Er sah ziemlich fertig aus. So wie du.«
»Die letzten vierundzwanzig Stunden waren für uns alle nicht leicht.«
»Stimmt. Und ich muß den Laden trotzdem schmeißen. Wenn du dich ein bißchen nützlich machen willst, kannst du die Veranda und den Hof fegen und dafür sorgen, daß die Polster wieder auf die Gartenmöbel kommen.«
»Das Leben geht weiter, stimmt’s?«
»Daran können wir nichts ändern.« Mit geübtem Griff schlug er frische Eier in die Pfanne. »Man tut einfach, was als nächstes getan werden muß.«
Er beobachtete, wie sie den Besen aus dem Schrank nahm und nach draußen ging. Und fragte sich, was er, zum Teufel, als nächstes tun sollte.
»Ich frage mich, wie die Leute essen können, während ihre Münder nicht eine Sekunde lang stillstehen«, stöhnte Lexy, als sie in die Küche gestürzt kam, in Windeseile die leere Kaffeekanne gegen die volle austauschte und Brian einen Stapel neuer Bestellungen auf die Theke knallte. »Wenn mich noch ein Mensch nach dieser armen Frau fragt, bekomme ich einen Schreikrampf.«
»So was ist für die meisten Leute ein gefundenes Fressen.«
»Du hast gut reden, du mußt dir nicht ständig all die Fragen anhören.« Für einen Moment ließ sie sich erschöpft an die Theke sinken. »Ich glaube, ich habe heute nacht nicht länger
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