Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
werde dir keine weiteren Einzelheiten über Nathans Liebestechniken verraten. Statt dessen werde ich jetzt ein Nickerchen machen. Weck mich bitte gleich wieder auf.«
Und zu ihrem großen Erstaunen schlief sie schon im nächsten Moment tief und fest.
Fünfundzwanzig
Nathan ging auf dem alten türkischen Kelim in der zwei Etagen hohen Bibliothek Dr. Jonah Kauffmans auf und ab. Draußen, zwei Dutzend Stockwerke weiter unten, staute sich die Hitze in den Straßen New Yorks. In dem eleganten Penthouse war es kühl, und der Trubel der Stadt schien Welten entfernt.
In Kauffmans Domizil hatte man nie den Eindruck, in New York zu sein. Immer wenn Nathan das in ruhigen Farben gehaltene, mit vergoldeten Schnitzereien verzierte, großzügige Foyer durchquerte, hatte er das Gefühl, sich in England zu befinden.
Der Ausbau der Bibliothek von Dr. Kauffman war einer von Nathans ersten Aufträgen gewesen. Dabei hatte er Wände und Decken versetzt, um die Massen von Büchern unterzubringen, die der renommierte Neurologe besaß. Außerdem war es für Nathan eine Herausforderung gewesen, den Geschmack seines Auftraggebers zu treffen. Kauffman hatte ihm absolut freie Hand gelassen.
In diesem Fall sind Sie der Arzt, Nathan. Behelligen Sie mich nicht mit gestalterischen Fragen, dann werde ich Sie bei der nächsten Gehirnoperation nicht um Unterstützung bitten.
Also hatte sich Nathan für das warme Nußholz, für großzügige Ornamente und ein raumhohes, dreiflügliges Fenster in einem gemütlichen Erker entschieden.
Während er wartete, versuchte Nathan, sich zur Ruhe zwingen. Diesmal war er als Patient gekommen, und sein Schicksal lag in den erfahrenen Händen dieses Mannes.
Schon sechs Tage waren seit seiner Abreise von Desire vergangen. Sechs unendlich lange Tage.
Kauffman kam herein und schloß die mächtigen, gepolsterten Türen hinter sich. »Tut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen, Nathan. Sie hätten sich schon einen Brandy einschenken können. Aber Sie machen sich nichts aus Brandy,
stimmt’s? Sei’s drum, dann müssen Sie eben so tun als ob, mein Lieber.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich empfangen, Doktor. Und daß Sie … sich meiner persönlich annehmen.«
»Sie gehören doch zur Familie, Nathan.« Kauffman nahm eine Kristallkaraffe vom Sideboard und füllte zwei Schwenker.
Er war eine beeindruckende Erscheinung, etwa eins fünfundneunzig groß, schlank, und hielt sich für seine siebzig Jahre sehr gerade. Sein weißes, aber noch immer volles Haar trug er zurückgekämmt. Seine etwas schmalen Lippen waren von einem kurzen Bart umgeben. Er bevorzugte den klassischen Schnitt englischer Anzüge, die Eleganz italienischer Schuhe und bot zu jeder Tageszeit einen makellos gepflegten Anblick.
Trotzdem waren es seine dunklen Augen unter den schwarzen, buschigen Brauen, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zogen. Als Kauffman Nathan ein Glas reichte, wurde sein Blick wärmer. »Setzen Sie sich, Nathan, und entspannen Sie sich. In absehbarer Zukunft werden wir Ihr Gehirn nicht anbohren.«
Nathans Magen hob sich. »Und die Untersuchungen?«
»Die Ergebnisse waren alle negativ. Ich habe sie mir selbst angesehen. Es konnte weder ein Tumor noch Schatten oder andere Anomalien festgestellt werden. Sie haben ein kerngesundes Gehirn und Nervensystem, Nathan. Und jetzt setzen Sie sich endlich.«
»Gern.« Nathan ließ sich dankbar in das weiche Lederpolster des Ohrensessels sinken. Obwohl Nathan Brandy verabscheute, nahm er einen Schluck und genoß das Brennen in seiner Kehle. »Ich nehme an, daß Sie alle Aspekte berücksichtigt haben.«
»Allerdings. Die CT- und MRI-Scans waren absolut normal. Die allgemeinen Untersuchungen, Blutanalyse und dergleichen haben gezeigt, daß Sie ein völlig gesunder dreißigjähriger Mann sind.« Kauffman schwenkte seinen Brandy und roch daran. »Aber verraten Sie mir doch, was Sie veranlaßt hat, sich einer derart aufwendigen Untersuchung zu unterziehen.«
»Ich wollte sicher sein, daß ich gesund bin. Ich habe befürchtet, unter Blackouts zu leiden.«
»Haben Sie Gedächtnislücken?«
»Nein. Nun ja, woher soll ich das wissen? Ich hatte den Verdacht, daß ich in einem solchen Zustand … etwas getan haben könnte, an das ich mich nicht mehr erinnere.«
Kauffman spitzte interessiert die Lippen. Er kannte Nathan zu gut, um ihn für einen Hypochonder zu halten. »Haben Sie dafür konkrete Anhaltspunkte? Haben Sie sich an Orten wiedergefunden, ohne zu wissen,
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