Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
nach der nächsten Kanne frisch durchgelaufenen Kaffees zu greifen. »Meine kleine Schwester Lexy.«
»Hallo, Nathan.« Lexy streckte ihm ihre Hand mit den flammendrot lackierten Nägeln entgegen. »Für Brian bin ich immer noch ein kleines Mädchen mit Zöpfen.«
»Ein Privileg des großen Bruders.« Er bemerkte, daß der Händedruck der Sirene fest und entschlossen war. »Aber in meiner Erinnerung tragen Sie auch Zöpfe.«
»Ach ja?« Enttäuscht, daß er ihre Hand nicht länger gedrückt hielt, stützte sich Lexy mit den Ellbogen auf die Theke und beugte sich zu ihm. »Kaum vorstellbar, daß ich mich nicht an Sie erinnern kann. Normalerweise vergesse ich keinen attraktiven Mann, der mir über den Weg gelaufen ist.«
»Du warst damals gerade aus den Windeln«, warf Brian sarkastisch ein, »und noch keine Femme fatale. Heute gibt’s übrigens Omelett mit Käse und Pilzen zum Frühstück«, sagte er, ihren giftigen Blick geflissentlich ignorierend.
Lexy riß sich zusammen und setzte ihr charmantestes Lächeln auf. »Danke, Süßer«, säuselte sie und griff nach der mit dampfend heißem Kaffee gefüllten Kanne, die er ihr mit Schwung über die Theke zuschob. Dann wandte sie sich mit einem bezaubernden Augenaufschlag Nathan zu. »Es gibt auf Desire leider nur sehr wenige interessante Männer.«
Da es ihm dumm vorkam, der Versuchung zu widerstehen, und sie es außerdem ganz offensichtlich zu erwarten schien, schickte er ihr einen langen Blick nach, während sie aus der Küche segelte. Grinsend wandte er sich dann wieder Brian zu. »Da hast du aber eine nette kleine Schwester. Glückwunsch, Bri.«
»Eigentlich hätte sie eine ordentliche Tracht Prügel verdient – sich einem Fremden derart an den Hals zu werfen.«
»Mach dir meinetwegen kein Kopfzerbrechen. Dieser Typ Frau bringt nur Ärger mit sich. Und ich habe schon genug Probleme.«
»Geht mich nichts an«, murmelte Brian. »Lexy ist fest entschlossen, nicht nur nach Problemen zu suchen, sondern sie auch zu finden.«
»Aber Frauen, die so aussehen wie Lexy, sind normalerweise auch in der Lage, sich wieder aus der Affäre zu ziehen.« Er fuhr herum, als sich die Tür erneut öffnete. Diesmal trat Jo in die Küche.
Und Frauen, die so aussehen wie Jo, dachte Nathan, ziehen sich nicht aus der Affäre – sie boxen sich heraus.
Jo hielt inne, als sie ihn sah. Sie zog die Brauen zusammen und fuhr sich über die Stirn. »Sie scheinen sich hier ja ganz wie zu Hause zu fühlen, Mr. Delaney.«
»Stimmt, Miss Hathaway.«
»Das klingt aber reichlich förmlich«, kommentierte Brian, während er nach einem frischen Kaffeebecher griff, »für jemand, der diese junge Dame in den Fluß gestoßen und sich bei dem Versuch, sie wieder rauszuziehen, eine blutige Lippe geholt hat.«
»Ich hab’ sie nicht reingestoßen.« Ein Lächeln erschien auf Nathans Gesicht, als er sah, daß sich Jos Brauen abermals zusammenzogen. »Sie ist reingerutscht. Aber soweit ich mich erinnere,
hat sie mir tatsächlich die Lippe blutig geschlagen und mich außerdem einen Yankee-Mistkerl genannt.«
Die Erinnerung kreiste in ihrem Kopf, zunächst nur ganz verschwommen und dann plötzlich glasklar. Der heiße Sommernachmittag, der Sturz in den eiskalten Fluß, der Kopf unter Wasser. »Mr. Davids Sohn!« Eine heiße Welle schoß durch ihren Magen und erreichte ihr Herz. »Aber welcher?«
»Nathan – der Ältere.«
»Klar.« Sie schüttelte ihr Haar zurück – allerdings nicht mit dem verführerischen Gehabe ihrer Schwester, sondern voll Ungeduld. »Natürlich hast du mich gestoßen. Ich bin kein einziges Mal in den Fluß gefallen – es sei denn, ich hab’s extra gemacht oder bin reingestoßen worden.«
»Du bist ausgerutscht«, korrigierte Nathan sie. »Und ich hab’ dir rausgeholfen.«
Lachend schüttelte sie den Kopf. Dann nahm sie den Becher, den Brian ihr entgegenstreckte. »Wie dem auch war – ich kann damit leben. Immerhin hab’ ich dir eins auf die Lippe gegeben. Und außerdem verdanke ich deinem Vater sehr viel.«
Nathans Kopf begann zu pochen – ganz plötzlich und heftig. »Meinem Vater?«
»Ich bin ihm nachgelaufen wie ein junger Hund, hab’ ihn Löcher in den Bauch gefragt: wie er fotografierte, warum er gerade diese Aufnahme machte, wie die Kamera funktionierte. Er hatte so viel Geduld. Dabei muß ich ihn wahnsinnig gemacht haben – ständig hab’ ich ihn bei der Arbeit unterbrochen. Aber er hat mich nie weggeschickt. Er hat mir enorm viel beigebracht.
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