Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Absichtlich schüttelte sie den Kopf, damit ihr die widerspenstige Strähne wieder übers Ohr fiel. Dann ließ sie die Schultern kreisen, als wollte sie eine unangenehme Berührung abschütteln.
Aber sie mußte zugeben, daß sie schon interessierter war, als sie vorgehabt hatte.
Sieben
Nathan hatte eine Kamera mitgenommen. Er hatte sich verpflichtet gefühlt, einigen Spuren zu folgen, die sein Vater auf Desire hinterlassen hatte – oder sie auszulöschen. Er hatte sich für die schwere alte Pentax entschieden – eine der Lieblingskameras seines Vaters und ohne Zweifel eine, die David Delaney in jenem Sommer mit nach Desire genommen hatte.
Er hatte auch die sperrige Hasselblad und die praktische Nikon sowie eine große Auswahl an Linsen und Filtern und Filmmaterial mitgehabt. Nathan hatte alles eingepackt und nun, im Cottage, so ordentlich verstaut, wie es ihm sein Vater beigebracht hatte.
Aber wenn sein Vater auf die Jagd nach einem Motiv gegangen war, hatte er normalerweise die Pentax gewählt.
Nathan entschied sich für den Strand mit den schäumenden Wellen und dem glitzernden Sand. Angesichts des gnadenlos hellen Sonnenscheins setzte er seine Sonnenbrille auf und wanderte den markierten Pfad zwischen den Wanderdünen entlang. Der kräftig vom Meer landeinwärts wehende Wind zerzauste seine Haare.
Von der Flut angeschwemmte Muscheln zierten den Strand. Hinter ihnen bildeten sich, mit der Unterstützung des Windes, bereits winzige Dünen. Kleine Wasserläufer huschten auf dem Schaum hin und her wie emsige Geschäftsleute, die von einem wichtigen Meeting zum nächsten eilten. Und dort, hinter der ersten Reihe von Wellenkämmen, flogen drei Pelikane in militärischer Formation. Ohne ihren Verband zu lösen, stiegen und sanken sie. Stieß einer plötzlich kopfüber in die Wellen, folgten die anderen bedingungslos. Drei Spritzerfontänen, drei Steigflüge, drei Frühstücksportionen in den Schnäbeln.
Mit geübter Bewegung hob Nathan die Kamera, nahm die Schutzkappe von der Linse und stellte die Pelikane scharf ein. Er folgte ihnen, als sie an den Wellenkämmen emporstiegen
und sich in die Luft erhoben. Und beim nächsten Sturzflug fing er sie ein.
Er ließ die Kamera sinken und lächelte. In den vergangenen Jahren hatte er oft über längere Perioden auf sein Hobby verzichtet. Jetzt wollte er alles aufholen und mindestens eine Stunde pro Tag damit verbringen, sich wieder an das Vergnügen zu gewöhnen und sein Auge zu verbessern.
Einen besseren Einstieg hätte er sich nicht wünschen können. Der Strand gehörte nur den Vögeln und Muscheln. Seine Fußstapfen waren die einzigen. Das allein ist schon ein Wunder, dachte er. Wo sonst war ein Mensch so mutterseelenallein, wo sonst konnte er diese Schönheit, diesen Frieden und diese Einsamkeit genießen?
All das brauchte er jetzt. Wunder, Schönheit, Frieden. Die Hand um die Kamera gelegt, stieg Nathan die Böschung hinunter und erreichte den weichen, feuchten Sandstrand. Er bückte sich, um eine Muschel zu betrachten, mit der Fingerspitze die Umrisse eines Seesterns nachzuziehen.
Aber er ließ alles dort, wo er es vorgefunden hatte, und nahm es nur auf Film gebannt mit.
Die Luft und die Bewegung beruhigten seine angespannten Nerven. Sie ist Fotografin, dachte Nathan, als er ein hübsches Cottage betrachtete, das hinter den Dünen hervorlugte. Hatte sein Vater gewußt, daß das kleine Mädchen in seine Fußstapfen getreten war? Hätte es ihn interessiert? Wäre er stolz oder erfreut gewesen?
Er erinnerte sich, wie ihm sein Vater zum ersten Mal eine Kamera erklärt hatte. Die großen Hände hatten auf seinen kleinen geruht und sie sanft und geduldig geführt. Der Geruch von Rasierwasser auf den Wangen seines Vaters, ein herber Duft. Brut. Ja, Brut. Das hatte Mom am besten gefallen. Die Wange seines Vaters war glattrasiert und lag fest an seiner eigenen. Sein dunkles Haar war in großen Wellen ordentlich nach hinten gekämmt, seine klaren grauen Augen blickten sanft und ernst.
Gib immer auf deine Ausrüstung acht. Vielleicht verdienst du ja eines Tages mit ihr deinen Lebensunterhalt. Betrachte die ganze Welt durch sie, und entdecke, was es zu entdecken gibt. Lerne hinzuschauen,
und du wirst mehr als alle anderen sehen. Vielleicht wirst du ja auch etwas anderes und benutzt sie nur, um bestimmte Augenblicke festzuhalten. Urlaub, Familie. Es sind deine Augenblicke, und deshalb sind sie wichtig. Respektiere deine Ausrüstung, lerne, richtig mit ihr umzugehen,
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