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Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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wert, daß man auf sie wartete. Sein Kopf war jetzt wieder klar, das Koffein hatte ihn auf Trab gebracht. Nachdem er sich angezogen und die dritte Tasse hinuntergestürzt hatte, war er bereit für den Fußmarsch nach Sanctuary und ein anständiges Frühstück.
    Als Nathan das Cottage verließ, ertappte er sich dabei, wie er »I Walk the Line« vor sich hin pfiff. Schon wieder Johnny Cash, dachte er kopfschüttelnd. Und dabei stand er gar nicht auf Country-Musik.
    Als er in das Dämmerlicht des Waldes trat, verlangsamte er automatisch seinen Schritt und folgte zwischen herabhängenden Ästen und Flechten hindurch der sanften Biegung des Flusses. Ein vorüberflatternder Farbschimmer stach ihm ins Auge, und er blieb stehen, um dem sonnengelben Schmetterling nachzuschauen.
    Obwohl es ein Umweg war, folgte er dem Weg neben dem Fluß. Er wußte, daß ihn der Wasserlauf noch tiefer in die kühle Stille führen würde.
    Dann sah er sie zusammengekauert neben einem umgestürzten Baumstamm liegen. Die Ärmel ihrer weiten Jacke hatte sie bis über die Ellbogen hochgeschoben, und ihr Haar
war zu einem widerspenstigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ein Knie ruhte auf dem feuchten Boden, das andere Bein hatte sie aufgestellt, um im Gleichgewicht zu bleiben.
    Er hätte nicht sagen können, warum er sie so anziehend fand. Warum sie auf ihn so … interessant wirkte.
    Reglos verharrte er und beobachtete, wie Jo ihre Vorbereitungen traf. Er glaubte zu wissen, was sie einfangen wollte. Das Spiel des Lichts auf dem Wasser, die Schatten der Bäume auf der dunklen Oberfläche, den fast durchsichtigen Dunstschleier, der im Begriff war, sich zu lichten. Ein kleines Wunder, das nicht vielen Menschen auffiel.
    Als er das Reh zwischen den Bäumen hervortreten sah, machte er so vorsichtig er konnte einen Schritt nach vorne und ging dicht hinter ihr in die Hocke. Sie zuckte zusammen, als seine Hand ihre Schulter berührte.
    »Schsch. Schau mal nach links«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Obwohl ihr das Herz immer noch bis zum Hals klopfte, schwenkte sie langsam die Kamera herum. Nachdem sie das Reh im Sucher hatte, atmete sie tief durch und wartete.
    Als das Reh den Kopf hob, um Witterung aufzunehmen, drückte Jo ab. Und noch einmal, als das Tier auf den Fluß blickte und schließlich direkt zu den beiden Menschen herüberschaute. Ihre Arme begannen zu schmerzen, als die Sekunden zu Minuten wurden. Aber sie regte sich nicht, um das Tier nicht aufzuschrecken. Und sie wurde belohnt: Das Reh schritt anmutig durch das Gras, gefolgt von seinem Kitz, das nun den Schutz der Bäume verließ. Seite an Seite tranken die beiden aus dem Fluß.
    Sie würde die Aufnahme ein wenig unterbelichten, um die unwirkliche Atmosphäre dieser Szene zu betonen. Die Abzüge würden märchenhaft werden – im wahrsten Sinne des Wortes.
    Erst als der Film verknipst war, ließ sie die Kamera sinken, und selbst dann verharrte sie reglos und beobachtete fasziniert, wie die Rehmutter und ihr Kitz hinter der Biegung des Flusses verschwanden.
    »Danke, ich hätte sie vielleicht nicht gesehen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie wandte sich ihm zu und zuckte kurz zurück. Ihr war nicht aufgefallen, daß er ihr so nahe gekommen war, daß seine Hand immer noch auf ihrer Schulter ruhte. »Du bewegst dich ziemlich lautlos, Nathan. Ich habe dich nicht kommen hören.«
    »Du warst ja auch vollkommen vertieft. Ist die Aufnahme, die du vor dem Reh machen wolltest, was geworden?«
    »Das werden wir sehen.«
    »Ich fotografiere auch. Ist ein altes Hobby von mir.«
    »Kein Wunder, das liegt dir ja sozusagen im Blut.«
    Ihre Worte trafen ihn schmerzhaft. Er schüttelte den Kopf. »Es ist keine Leidenschaft. Nur amateurhaftes Interesse, trotz der tollen Ausrüstung, die ich jetzt habe.«
    Sie wußte nicht, ob es leichter war, über solche Verluste zu sprechen oder sie zu ignorieren. Sie entschied sich fürs Ignorieren.
    »Auf alle Fälle«, fuhr er fort, »ist meine Ausrüstung weitaus professioneller als meine Fähigkeiten.« Er lächelte sie an. »Im Gegensatz zu dir.«
    »Woher willst du wissen, ob ich gut bin – du hast doch noch gar nichts von mir gesehen.«
    »Gute Frage. Ich könnte sagen, weil ich dir jetzt bei der Arbeit zugesehen habe: Du bist geduldig und behutsam und ruhig. Das sind wichtige Eigenschaften.«
    »Kann sein, aber jetzt war ich lange genug ruhig.« Sie wollte sich aus der Hocke erheben, aber er ließ seine Hand von ihrer Schulter zum Ellbogen gleiten und zog sie mit

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