Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Lexy angestuft. Ist eigentlich ganz fetzig, dachte Jo. Und der Pony war gar keine schlechte Idee. Vorsichtig schüttelte sie den Kopf. Alles fiel mehr oder weniger wieder an seinen Platz zurück. Und keine störenden Strähnen hingen ihr mehr in die Augen.
Sie fuhr sich mit der Bürste durchs Haar und beobachtete zufrieden, daß sich ihre Wellen locker und natürlich legten. Ordentlich geschnitten, dachte sie. Und es hatte einen gewissen Stil. Sie mußte wirklich zugeben, daß ihr die Frisur stand.
Sie erinnerte sich, wie sie auf dem Bett saß und ihre Mutter ihr das Haar bürstete.
Du hast schönes Haar, Jo Ellen. So dick und weich .
Es hat dieselbe Farbe wie deins, Mama.
Ich weiß. Lachend nahm Annabelle ihre Tochter in den Arm. Du bist mein kleiner Zwilling.
»Wir sind keine Zwillinge, Mama«, flüsterte Jo jetzt. »Ich kann nicht sein wie du.«
Hatte sie deshalb nie mehr aus ihrem Haar gemacht, als es mit einem Gummiband zusammenzunehmen? Hatte sie deshalb nicht mal Wimperntusche? War es Sturheit oder Angst, die sie davon abhielt, sich länger als fünf Minuten mit ihrem Aussehen zu beschäftigen? Sich wirklich anzuschauen?
Wenn ich nicht verrückt werden will, dachte Jo, muß ich lernen, mein Spiegelbild anzuschauen. Und um es anzuschauen, muß ich lernen, es zu akzeptieren.
Sie atmete tief durch und ging rüber in Lexys Zimmer. Lexy war im Bad damit beschäftigt, aus ihrem schier unerschöpflichen Kosmetikfundus einen passenden Lippenstift auszusuchen.
»Tut mir leid.« Als Lexy nichts sagte, machte Jo einen zweiten Anlauf. »Lexy, es tut mir leid. Du hattest absolut recht. Ich war eklig und habe nur rumgemeckert.«
Lexy starrte auf die goldfarbene Hülle hinunter und drehte den schimmernden roten Stift rein und wieder raus. »Und warum?«
»Ich habe Angst.«
»Wovor?«
»Vor allem.« Das Geständnis erleichterte sie. »Im Augenblick habe ich vor allem Angst. Sogar vor einem Haarschnitt.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Auch wenn er richtig toll ist.«
Auch Lexy ließ sich zu einem schwachen Lächeln hinreißen, als sich ihre Blicke im Spiegel trafen. »Sieht wirklich gut aus. Es sähe noch besser aus, wenn du dich ein bißchen schminken würdest. Wenigstens die Augen.«
Seufzend blickte Jo auf das enorme Kosmetikdepot. »Warum nicht? Kann ich irgendwas davon nehmen?«
»Klar, was du möchtest. Wir gehören zum selben Farbtyp.« Lexy wandte sich wieder dem Spiegel zu und malte sorgfältig ihre Lippen aus. »Jo … hast du Angst vorm Alleinsein?«
»Nein. Ich fühle mich allein ziemlich wohl.« Jo griff nach dem Rouge und schnupperte vorsichtig daran. »Das ist so ziemlich das einzige, was mir keine Angst macht.«
»Komisch. Alleinsein ist das einzige, was mir angst macht.«
Das Feuer loderte hoch auf. Die Flammen erhoben sich vom weißen Sand in den schwarzen, diamantbesetzten Nachthimmel. Wie ein rituelles Feuer der Kelten, dachte Nathan, während er, ein eiskaltes Bier trinkend, die Flammen beobachtete. Er stellte sich vor, wie in lange Gewänder gehüllte Gestalten um das Feuer tanzten und einem primitiven Gott Opfer darbrachten.
Die Nacht war kühl, das Feuer heiß, und der tagsüber so oft verwaiste Strand war voller Menschen und Musik. Aber er war noch nicht ganz bereit, sich ins Getümmel zu stürzen. Statt dessen beobachtete er die tanzenden Paare.
Und er dachte an die Fotos, die Jo ihm am Vormittag gezeigt hatte, an die vor Kälte erstarrten Szenen der Einsamkeit. Vielleicht ist mir dadurch klar geworden, wie einsam ich selbst geworden bin, dachte er.
»Na, Süßer.« Ginny ließ sich neben ihn in den Sand fallen. »Was machst du hier so ganz allein?«
»Nach dem Sinn des Lebens suchen.«
Sie lachte fröhlich. »Ist doch ganz einfach: das Leben selbst.« Sie hielt ihm einen Hot Dog entgegen – kroß gebraten, frisch aus dem Feuer. »Beiß mal.«
Nathan biß in das Würstchen; es schmeckte nach Holzkohle und Sand. »Lecker.«
Sie lachte und tätschelte ihm kameradschaftlich das Bein. »Grillen ist nicht gerade meine Spezialität. Aber mein Frühstück ist verdammt gut, falls du … mal in der Nähe bist.«
Das war eine eindeutige und lockere Einladung. Und hier war auch ihr riesiges Lächeln, durch den Tequila schon ein wenig verrutscht. »Das ist ein attraktives Angebot.«
»Komm schon, Süßer, alle Frauen auf dieser Insel zwischen sechzehn und sechzig würden sich drum reißen, mit dir ins Bett zu springen. Ich will nur als erste an der Reihe sein.«
Nathan
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