Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Vorsichtsmaßnahme stellte sie die geöffnete Tür fest und hängte das große Plastikschild mit der Aufschrift WIR MACHEN IHRE TOILETTEN SAUBER in Augenhöhe auf. Beruhigt ließ sie den Eimer voll Wasser laufen und gab Reiniger dazu. Zwanzig Minuten, höchstens dreißig, und ich bin durch, sagte sie sich. Zur Ablenkung begann sie, den Rest des Tages zu planen.
Sie konnte zur Nordküste hochfahren. Dort standen die Ruinen einer alten spanischen Mission, die im sechzehnten Jahrhundert erbaut und im siebzehnten Jahrhundert verlassen worden war. Die Spanier hatten bei ihren Bemühungen, die nicht seßhaften indianischen Ureinwohner zum Christentum zu bekehren, nicht sehr viel Erfolg gehabt, und die von den Missionaren geplante Siedlung war nie entstanden.
Es war ein schöner Tag für die Fahrt hoch zur Nordspitze; am späten Vormittag würde das Licht phantastisch sein – ideal, um die Ruinen und die von den Indianern zurückgelassenen Muschelterrassen zu fotografieren. Vielleicht hatte Nathan ja Lust, sie zu begleiten. Sie konnten Brian bitten, ihnen ein Lunchpaket zu packen, und dann würden sie ein paar nette Stunden mit den Geistern der spanischen Mönche verbringen.
Als plötzlich das Licht ausging, stieß sie vor Schreck den Eimer um. Während sie herumwirbelte, den Schrubber wie eine Waffe vorgestreckt, hörte sie die schwere Tür zufallen. »Wer ist da?« rief sie und tastete sich in dem schummrigen Licht, das durch ein kleines Milchglasfenster hoch oben in der Wand drang, in Richtung Tür.
Die Tür öffnete sich nicht. Nackte Panik stieg in ihr auf. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie warf sich gegen die Tür, hämmerte mit den Fäusten gegen das Holz. Das Blut pochte in ihren Ohren. Sie war sicher, daß jemand in das Duschhäuschen geschlüpft war und jetzt hinter ihr stand.
Sie sah nichts – nur leere Kabinen, den stumpfen Glanz des feuchten Bodens. Sie hörte nichts – nur ihren jagenden Atem.
Erschöpft ließ sie sich an die Tür sinken, um nur nicht dem Raum den Rücken zuzukehren. Ihre Blicke hetzten nach links und rechts, suchten nach Bewegungen in den Schatten.
Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, eiskalter Schweiß. Sie bekam nicht genug Luft, ganz gleich, wie schnell und tief sie einatmete. Ein Teil ihres Gehirns schien noch zu funktionieren und sagte ihr: Du kennst die Signale, Jo Ellen, laß sie nicht die Oberhand gewinnen, laß dich nicht gehen. Wenn du jetzt zusammenklappst, landest du wieder im Krankenhaus. Reiß dich zusammen, komm schon, reiß dich zusammen.
Sie preßte die Hand vor den Mund, um ihre Schreie zu unterdrücken, die dann als Wimmern hervorbrachen. Sie fühlte, wie ihr die Kontrolle über sich selbst entglitt, wie die Panik ihren Willen zermürbte, bis sie ihr Gesicht resigniert an die Tür sinken ließ.
»Bitte, bitte, laß mich raus. Bitte laß mich hier nicht allein.«
Und dann hörte sie Schritte, draußen auf dem Kiesweg, und öffnete den Mund, um zu schreien. Aber sie war wie gelähmt vor Angst, stolperte ein paar Schritte zurück. Mit schreckensweiten Augen starrte sie auf die Tür; das Blut hämmerte schmerzhaft unter ihrer Haut. Von der Tür kam ein Kratzen, dann ein Fluch. Als sie sich öffnete und gleißend helles Sonnenlicht hereinströmte, wurde Jo schwarz vor Augen.
Sie sah die Silhouette eines Mannes. Als ihre Knie nachgaben, griff sie wieder nach dem Schrubber und schwang ihn wie ein Schwert. »Stehenbleiben. Sofort stehenbleiben.«
»Jo Ellen? Was, zum Teufel, ist hier los?«
»Daddy?« Der Schrubber polterte zu Boden. Fast wäre Jo ihm gefolgt, aber seine Hände packten sie und zogen sie hoch.
»Was ist passiert?«
»Ich konnte nicht mehr raus. Ich konnte nicht. Er beobachtet mich. Ich konnte nicht mehr weg.«
Sam begriff nicht, wovon sie sprach, aber er sah, daß sie leichenblaß war und am ganzen Körper zitterte. Instinktiv nahm er sie auf seine Arme und trug sie hinaus in die Sonne. »Ist ja gut, ist ja alles gut, mein Pudding.«
Diesen alten Kosenamen hatten sie beide vergessen. Jo drückte ihr Gesicht an seine Schulter und klammerte sich
auch dann noch an ihn, als er sich auf einer steinernen Bank niedergelassen hatte und sie auf seinem Schoß hielt.
Sie ist immer noch klein, stellte er überrascht fest. Wie konnte das sein, wo sie doch immer so groß und erwachsen wirkte? Wenn sie als kleines Mädchen Alpträume hatte, hatte sie so auf seinem Schoß Schutz gesucht. Sie hatte immer nach ihm gerufen, wenn sie schlecht
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