Insel der Traumpfade Roman
Seiten näherrückte.
Mandawuy blieb stehen, als er den letzten Berg erreicht hatte. Er sah Rauch von den Lagerfeuern durch die Bäume aufsteigen und das Glitzern des Ozeans, der sich bis ans Ende der Erde erstreckte. Das war sein Volk, und das hier war sein Land, das es zu beschützen galt für alle, die nach ihm kommen würden. Er hockte sich in der Mittagssonne nieder. Die Prüfungen der Furcht, des Hungers und der Abgeschiedenheit hatten ihn zu diesem Augenblick hingeführt, und es war wichtig für ihn, klar zu denken – denn gegen die Geister der Ahnen anzugehen hieße, für immer ausgestoßen zu sein.
Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden, als er sich aufrichtete und auf das Lager zuging. Leichten Fußes eilte er den Abhang hinunter ans Lagerfeuer, denn er hatte eine Entscheidung getroffen.
Kernow House, Watsons Bay, August 1801
Mit einem wütenden Schrei kam das Kind zur Welt, und Eloise sank in die Kissen zurück. Die Wehen waren anstrengend gewesen. Dieses Kind hatte den Mutterleib offenbar nur widerwillig verlasen. »Was ist es, Meg?«
»Ein Junge«, antwortete Meg, die das Kind wusch und in eine Decke wickelte. »Wollen Sie ihn halten, oder soll ich ihn gleich ins Kinderzimmer bringen?«
Daraufhin breitete Eloise beide Arme aus, um das schreiende Bündel in Empfang zu nehmen. »Es ist nicht seine Schuld, dass er unter Gewaltanwendung gezeugt wurde.«
Der Säugling hatte dunkles Haar und ein rotes Gesicht, seine kleinen Fäuste zappelten zornig, während er blindlings nach ihrer Brustwarze suchte. Eine Woge der Liebe erfasste Eloise, als sein Mund ihre Brust fand und zu saugen begann. »Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn lieben könnte, aber wie soll das gehen, wenn er so vollkommen ist?«
»Er wird immer eine Mahnung sein«, sagte Meg stirnrunzelnd.
Meg war Eloise zu Hilfe gekommen, sobald Edward an jenem schrecklichen Abend vor neun Monaten das Haus verlassen hatte. Sie hatte sich auf dem Treppenabsatz aufgehalten und alles mit angehört. Ohne auf die anderen Diener zu achten, die mit regem Interesse zusahen, hatte sie Eloise mit den zerfetzten Überresten ihrer Kleidung bedeckt und die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer gebracht. Sie hatte sie gebadet und anschließend ihre Haut mit Balsam besänftigt, sie in warme Handtücher gewickelt, sie an sich gedrückt und in den Schlaf der Erschöpfung gewiegt.
»Das ganze Haus ist eine Mahnung«, sagte Eloise, »aber der Kleine hier ist ein Geschenk Gottes – das einzig Gute, das aus jener Nacht hervorgegangen ist. Wir wollen nicht mehr darüber reden.«
Meg nahm das Kind und lächelte. »Er ist rot und plustert sich beim Schreien auf – genau wie der Baron«, sagte sie und errötete. »Entschuldigen Sie, das hätte ich nicht sagen dürfen.«
Eloise tätschelte ihren Arm. »Du darfst frei reden, Meg, und alle Neugeborenen gleichen meinem Vater – es liegt an den dicken Wangen und der gerunzelten Stirn.«
Erleichtert legte Meg den Säugling in die Wiege, die neben dem Bett stand. »Wie soll er heißen?«
Eloise legte ihre Finger sanft auf die weiche Wange des Kleinen. »Oliver«, sagte sie. Meg war überrascht. »Edward hat darauf bestanden«, erklärte sie. »Aber ist es nicht pure Ironie, dass er diesen Namen mit der Bedeutung › Friede ‹ für ein Kind gewählt hat, das unter Gewalt gezeugt wurde?« Sie lachte. »Eigentlich glaube ich, der Name passt zu ihm«, gestand sie.
Aus Megs Zügen sprach eine stille Abscheu vor Edward, die vielsagender war als alle Worte.
»Hol Charles und Harry, damit sie ihren neuen Bruder kennenlernen. Dann geh zu Bett und ruh dich aus«, sagte Eloise. »Du bist die ganze Nacht wach gewesen und musst erschöpft sein.«
Meg schüttelte den Kopf. »Ich werde eine Matratze hier hereinlegen. Vielleicht brauchen Sie mich in der Nacht, falls er nach Hause kommt und Sie stört.«
Eloise schaute sie liebevoll an. »Das bezweifle ich, nachdem er jetzt in das andere Zimmer gezogen ist. Aber ich danke dir, Meg.«
Sie schloss die Augen. Die Aussicht, dass Edward nach Hause käme, um seinen neuen Sohn zu sehen, war gering – tatsächlich war sie seit jener schrecklichen Nacht oft wochenlang mit seiner Abwesenheit gesegnet. Sie interessierte sich nicht dafür, was er machte oder bei wem er war. Solange er auf Abstand blieb und sie mit ihren Kindern in Ruhe ließ, kam sie mit allem zurecht.
Waymbuurr (Cooktown), Oktober 1802
Mandawuy ging neben seinem Freund Kapirigi her. Sie waren gemeinsam auf der Jagd
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