Insel der Traumpfade Roman
Stuhl und einem Waschtisch ausgestattet, auf dem ein großer Krug und eine Schüssel standen. Hier drinnen war Samuel zwar nicht zu spüren, urplötzlich jedoch überkam ihn die Erkenntnis, seinen Freund und seine geliebte Eloise verloren zu haben. Er überließ sich der Verzweiflung.
Waymbuurr (Cooktown), Juli 1801
Mandawuy war elf Jahre alt, und wie bei den anderen Jungen seines Stammes hatte seine Einführung ins Erwachsenenalter bereits vor ein paar Jahreszeiten begonnen.
Die Ältesten waren klug, sie wussten, dass der Verstand eines Kindes eher bereit war, ihre Lehren aufzunehmen, als der eines Erwachsenen. An jedem Abend, solange er sich erinnern konnte, hatte Mandawuy mit den anderen Kindern zusammengesessen, wenn ein Ältester Geschichten über Tiere, Vögel, Reptilien oder Insekten erzählt hatte, die das Gute und Böse im Menschen symbolisierten.
Gleichzeitig mit den Traditionen und Legenden seines Volkes hatte Mandawuy sich die Fähigkeiten angeeignet, die er für die Jagd und zum Überleben brauchte. Er war vertraut mit der Anatomie, den Futterplätzen und Gewohnheiten eines jeden Tieres im Busch. Er kannte alle Vögel, sogar ihre Paarungsrufe, konnte an der Stellung der Sterne ablesen, dass eine andere Jahreszeit bevorstand, und an der Frucht eines Baumes, dass die großen Barramundi flussaufwärts kamen, um zu laichen.
Insgesamt gab es sechs Jahreszeiten. Gunumeleng ist das Ende der heißen, trockenen Zeit mit Gewittern und dem ersten Regen. Gudjeug ist die Jahreszeit des Monsunregens, in der es leichtfällt, die Tiere zu fangen, die auf die Bäume fliehen. Banggereng folgt, wenn die Fluten nachlassen, die Pflanzen Früchte tragen und die Tiere ihre Jungen versorgen. Yekke bringt allmorgendliche Frühnebel und trockene Winde; es ist die Zeit, in der das Grasland abgeflämmt wird, um neues Wachstum anzuregen. Wurrgeng ist kühler und hat weniger Regen, die billabongs trocknen aus, infolgedessen ist es leichter, die Vogelschwärme zu fangen, wenn sie sich an den schwindenden Wasserlöchern versammeln. Gurrung bringt trockene, heiße, windlose Tage, an denen alles Leben ermattet, bevor sich Gewitterwolken auftun und Blitze die Rückkehr des gunumeleng und der Regenzeit ankünden.
Mandawuy konnte die Spur eines jeden Stammesangehörigen lesen, denn jeder Fußabdruck war einzigartig; ein Fremder in ihrem geheiligten Land würde sofort erkannt. Trotz allem, was er bereits gelernt hatte, wusste Mandawuy, sein Wissensschatz würde sich bis an sein Lebensende vergrößern.
Sie hatten ihr Lager weit entfernt vom Meer aufgeschlagen, tief in dicht bewaldetem Land, in dem die Jagd erfolgreich war. In einiger Entfernung vom Lager fand man einen besonderen Platz, an dem die Zeremonien vor spähenden Blicken geschützt waren. Die Initiationsriten waren für die, welche sie noch nicht durchlaufen hatten, geheimnisvoll, weshalb eine gewisse Anspannung und Neugier alle in Atem hielt.
Mandawuy saß bei den anderen und hörte zu, wie der Älteste die weisen Worte Nurunderis sprach – des geheiligten Lehrers, der während der Traumzeit zum Stellvertreter des Großen Schöpfergeists auf Erden ausersehen war.
»Kinder, im Himmel gibt es einen Großen Geist, und ihr seid ein Teil von ihm. Er ist euer Versorger und Beschützer, und obwohl euer Leben wie ein Tag ist, ist es Sein Wille, dass ihr Seinen großen Plan in eurer kurzen Zeit auf Erden erfüllt. Ihr müsst das Land nähren und nur nehmen, was ihr braucht. Ihr müsst euren Appetit zügeln und dürft nie zu Sklaven des Verlangens werden, dürft eure Seele weder Schmerz noch Furcht leiden lassen – denn das macht euch selbstsüchtig und bringt euch und allen, die euch nahestehen, Unglück.«
Mandawuy war klar, dass die Lehren des Ältesten und die bevorstehende Prüfung ihn weiterbringen würden, damit er vor dem Großen Schöpfergeist bestehen würde, wenn seine Zeit gekommen war, die letzte Reise im Himmelskanu anzutreten. Diese Erkenntnis war jedoch berauschend, und er spürte das erdrückende Gewicht der Verantwortung auf sich. Ein Mann zu sein und im Schatten des Schöpfers zu wandeln, würde nicht leicht sein – und er war sich bewusst, dass seine Großmütter, Anabarru und Lowitja, vom Himmel herabschauten und seine Entwicklung zum Mann mit wachen Augen beobachteten. Er durfte sie nicht enttäuschen.
»Die Zeit für eure erste richtige Prüfung ist gekommen«, stimmte der Älteste feierlich an, der sich, auf seinen Speer gestützt, in voller Größe vor
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