Insel der Traumpfade Roman
als sie sich mühsam erhob. Es war an der Zeit, die Geister um Rat zu fragen. Sie wandte sich vom Feuer ab und ging fort, bis die Geräusche des Lagers verklangen und die sanfte Nacht sie einhüllte. Die Geistersterne leuchteten ihr den Weg, als sie dem ausgetretenen Pfad zwischen den Bäumen hindurch zu den Kata-Tjuta-Bergen folgte. Es war ein männlicher Traumplatz, dessen Höhlen und Schluchten, ausgehöhlt von der Zeit und den Totemgeistern, sie nicht betreten durfte, doch ihr Ziel war das Wasserloch im Osten.
Absolute Stille umgab sie, als sie ihre Steine auf die heilige rote Erde warf, und aus dieser Stille drang das ferne Dröhnen eines Didgeridoo an ihr Ohr. Die urtümliche Musik vibrierte im Rhythmus ihres Herzens und zog sie zurück, zurück zur Traumzeit und zu den Vorfahren. Sie würden sie auf ihrer Reise führen, die, das war Lowitja klar geworden, ihre letzte sein würde.
Sydney Town, Oktober 1797
In der Nacht setzten die Wehen ein. Eloise wurde wach und stellte fest, dass sie allein war. Schreckliche Angst überfiel sie, und während sie abwartete, bis sich die Woge der Qual gelegt hatte, betete sie, Edward möge im Nebenzimmer sein.
Sie stand auf, taumelte auf den schmalen Flur hinaus und fand ihn im kleinen Salon. »Das Kind kommt«, keuchte sie. »Geh und hol Hilfe!«
Edwards Augen waren blutunterlaufen. Mühsam rappelte er sich auf. »Ich schicke das Mädchen«, lallte er und fegte die Messingglocke vom Tisch. »Geh du lieber ins Bett!«
Eloise merkte, dass von ihm keine Hilfe zu erwarten war. »Meg!«, rief sie, und das Dienstmädchen tauchte im Türrahmen auf, noch halb im Schlaf. »Lauf und hol Witwe Stott. Sag ihr, es ist so weit!« Sie streckte eine Hand aus, um das Gleichgewicht zu halten, als die nächste Wehe sie packte. Als sie verebbte, war Eloise wie benommen und zitterte. »Dann geh zum Hotel und sag meiner Familie Bescheid. Beeil dich, Meg!«
»Komm, ich helfe dir zurück ins Bett«, sagte Edward und stolperte bei dem Versuch, ihren Arm zu nehmen. »Kann nicht zulassen, dass du meinen Sohn auf dem Wohnzimmerteppich wirfst.«
Eloise verzog das Gesicht vor seiner Grobheit und dem Gestank nach abgestandenem Rum, der ihr entgegenwehte. Dem Himmel sei Dank für Meg und Witwe Stott! Sie hakte sich bei ihm unter und stützte sich auf dem Weg ins Schlafzimmer schwer auf. Mit einem Seufzer der Erleichterung sank sie auf die Matratze, doch es blieb ihr nur wenig Zeit für eine Atempause, denn die nächste Wehe kündigte sich bereits an und das Fruchtwasser ging ab. »Die Wehen kommen kurz hintereinander und sind sehr stark«, japste sie. »Ich hoffe, die Witwe ist rechtzeitig hier.«
Edward wich zurück. »Ich warte im Nebenzimmer.«
»Geh nicht!«, bettelte sie. »Noch nicht.«
Er schüttelte den Kopf, nur mühsam das Gleichgewicht haltend. »Das ist Frauensache.« Sein verschwommener Blick glitt über sie, gewahrte den stark gewölbten Leib und den sich ausbreitenden Fleck auf dem zerwühlten Laken. »Ich brauche was zu trinken«, nuschelte er.
Eloise wusste, dass Männer hier nichts verloren hatten – vor allem einer, der keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er Schwangerschaften und Geburten widerwärtig fand. Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die Angst an. Sie wusste nicht, was ihr bevorstand, sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauern oder wie schmerzhaft es sein würde – ihre Mutter hatte ihr nur wenig gesagt, nur dass sie den Schmerz vergessen würde, sobald das Kind da war. Tränen des Selbstmitleids drohten aufzusteigen, doch sie unterdrückte sie. Ihre Sehnsucht nach ihrer längst verstorbenen Mutter würde nie Erfüllung finden.
»Eloise, Schätzchen!«, hauchte Anastasia, die kurz darauf ins Schlafzimmer stürmte, ihre Schwester Irma dicht auf den Fersen.
»Ich bin so froh, dass ihr gekommen seid«, schnaufte Eloise.
»Das war doch selbstverständlich«, kreischte Anastasia, die zu Übererregung neigte. »Papa ist im Nebenzimmer; er hat Champagner zum Feiern mitgebracht.«
Irma huschte um das Bett, zog an Kissen und Decken, um Ordnung in das Chaos zu bringen. »Tut es sehr weh?«, fragte sie ängstlich. »Du bist ganz rot im Gesicht und siehst aus, als fühltest du dich nicht wohl.«
»Ja«, murmelte Eloise, »und du machst es noch schlimmer, wenn du an den Laken zerrst.«
Irmas Gesicht legte sich in Falten. »Eloise, also wirklich! Ich habe doch nur versucht …«
»Ist Witwe Stott unterwegs?«, unterbrach Eloise.
Bevor jemand antworten
Weitere Kostenlose Bücher