Insel der Traumpfade Roman
Enttäuschung konnte er nicht ertragen.
Am neu gebauten Pier, der weit ins tiefe Wasser hinausreichte, hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Jack steuerte den Wagen an den Rand und beobachtete, wie das Schiff königlich in die Bucht hineinsegelte. Mit wachsender Hoffnung nahm er die Passagiere einzeln in Augenschein, die überall an der Reling standen. Sie musste dabei sein. Unbedingt.
Frische Stürme hatten die Empress nach Süden geweht, und während sie sich langsam Port Jackson näherte, schien die Sonne von einem klaren Himmel herab – ein verheißungsvoller Anfang. Alice stand neben den anderen Passagieren an Deck, darauf erpicht, ihre neue Heimat zu sehen. Sie war ein wenig nervös, schließlich wusste sie nicht, was ihr bevorstand, wenn sie Jack wiedersah. Sie waren sich fremd geworden trotz der Vertrautheit ihrer Briefe und der gemeinsamen Erinnerungen – verändert durch die äußeren Umstände und die Jahre der Trennung.
Ganz bewusst schob sie alle Zweifel beiseite und ließ sich von ihrer Erregung packen. Bertie war gestriegelt, die Widder und Mutterschafe versorgt, und Alice hatte sich mit der eigenen Erscheinung besondere Mühe gegeben. Jack sollte nicht enttäuscht sein, und obwohl der kleine Spiegel, den sie mit Morag teilte, sie nicht in voller Größe zeigte, wusste sie, dass sie so gut aussah, wie es eben ging. Die Malaria hatte trotz ihrer Sonnenbräune eine gelbe Tönung auf ihrer Haut hinterlassen, und sie war viel zu dürr, doch ihr Haar schimmerte, nachdem sie es am Morgen ausgiebig gebürstet hatte.
Froh, dem hektischen Kofferpacken ihrer Kabinennachbarin entkommen zu sein, mischte sie sich mit wachsender Spannung unter die anderen, während sich die Küste immer deutlicher abzeichnete und Sydney Harbour vor ihnen auftauchte. Was für ein Anblick! Im klaren, beinahe blendenden Licht dieses südlichen Landes glitzerte das Wasser in sandigen Buchten und felsigen Meeresarmen, so weit das Auge reichte. Die weißen Segel ankernder Schiffe leuchteten auf dem Türkis der Wellen, Meeresvögel flogen dahin und tauchten, und ihre Flügelspitzen blitzten auf, als wären sie vom Sonnenlicht golden gefärbt.
Das Stimmengewirr wurde lauter, denn alle drängten nun vor, um besser sehen zu können. Alice wurde an Kapstadt erinnert, als Sydney in den Blick kam, das geschäftige Treiben und die farbenfrohe Szenerie. Hinter der Stadt erhob sich eine Ansammlung vonHäusern auf sanft ansteigenden Hügeln, dazu ein Kirchturm und die Steinmauern der Garnison. Etwas weiter entfernt vom Hafen gab es Alleen mit hübschen Holzhäusern und die eleganten, soliden Gebäude, in denen die Regierungsvertreter wohnten.
Alice wunderte sich, wie grün hier alles war. Sie hatte eine karge Landschaft erwartet, flach und gestaltlos, doch die dichten Wälder reichten bis ans Ufer der Flüsse und ergossen sich wie ein grünes Meer über die Hügel bis an den Horizont. Üppige Rasenflächen umgaben einige Häuser, in den Gärten blühten leuchtende Blumen, und elegante Bäume mit silbriger Rinde oder schweren Wedeln boten willkommenen Schatten.
Diese stille Betrachtung wurde untermalt von den Rufen der Seeleute, die in die Wanten kletterten, um die Segel einzuholen. Eine Flotte kleiner Boote machte sich auf, um die Empress zum Steinpier zu lotsen. Alice ließ den Blick suchend über die wettergegerbten Gesichter der Ruderer wandern in der Hoffnung, Jack möge dabei sein.
Dann merkte sie, wie töricht das war, und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Szenerie vor sich. Wahrscheinlich wusste Jack gar nicht, dass sie ankam. Die Post war unzuverlässig, und ihre letzten Briefe waren womöglich noch unterwegs – vielleicht sogar an Bord dieses Schiffes. Sie musste geduldig abwarten, bis sie anlegten, und dann einen Boten nach Moonrakers schicken.
Allmählich konnte sie die breite Hauptstraße ausmachen, das schicke Hotel und ein paar baufällige Läden, vor denen sich Waren stapelten. Hier und da blitzte das Rot einer Uniform auf, und sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf eine Reihe von Sträflingen, die ein Schiff entluden. Die Schreie von Fisch- und Pastetenverkäufern drangen an ihr Ohr, die Rufe von Männern, die Boote instandsetzten. Zwei Ochsen, die einen schweren Karren über einen Weg zogen, wirbelten roten Staub auf. Pferde und Rinder grasten auf den Feldern, und in dem Dampf, der offenbar aus einer Wäscherei drang, blitzten gelbe Kleider auf.
Verwundert betrachtete Alice die schwarzen Schwäne, die in
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