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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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beobachtete den klein gewachsenen Gouverneur, der sehr jüdisch aussah mit seiner langen, schnabelartigen Nase, den beiden senkrechten Sorgenfalten, die den Rücken dieser Nase rahmten, seinen dunklen Augen, seinen vollen sinnlichen Lippen und seinen langen Haaren, die sich oben stark lichteten und über den Ohren kräuselten, ehe sie sich im Nacken zu einem Zopf vereinigten. Man hätte ihn glatt für Senhor Tomas Habitas’ Bruder halten können. Phillips Äußeres war die Antwort auf viele Fragen Richards, und hatte Mr Thistlethwaite nicht erwähnt, dass Phillips Vater Jakob hieß? Sir George Rose, der selbst Jude war, hatte Phillip wärmstens empfohlen. Ein Glück, dachte Richard, dass unsere Expedition in die Botany Bay in den Händen eines Mannes liegt, der einer alten und hochkultivierten Rasse angehört, eines Mannes, der Unmenschlichkeit verurteilt und in Kriminellen ganz normale, wenn auch bedauernswerte Menschen sieht.
    Leutnant Philip Gidley King, Phillips Adjutant und Günstling, war noch keine dreißig, ein Engländer, in dessen Adern offenbar viel keltisches Blut floss, denn er redete ununterbrochen und hatte sichtlich Mühe, sein Temperament zu zügeln. Der Engländer in ihm offenbarte sich in der akribischen Aufzählung von Fakten, Zahlen, Statistiken, als die Gruppe an Deck ihre Runde machte. Major Ross war anzumerken, dass er King für einen Schwätzer hielt.
    So wurde es Dienstag, ehe sich den Sträflingen erstmals Gelegenheit bot, einen Blick auf Santa Cruz und jenen Teil Teneriffas zu werfen, der von ihrem Liegeplatz aus zu sehen war. Zu Mittag hatten sie frisches Ziegenfleisch, gekochten Kürbis, eigenartiges,
aber durchaus genießbares Brot und rohe saftige Zwiebeln bekommen. Viele verschmähten das Gemüse, doch Richard biss in seine Zwiebel wie in einen Apfel und kaute so heftig darauf herum, dass ihm der Saft übers Kinn lief und sich mit den Tränen vermischte, die ihm die scharfen Dünste in die Augen trieben.
    Die kleine Stadt, in der es keine Bäume gab, machte einen verschlafenen Eindruck und lag in einer zerklüfteten, trockenen Landschaft. Der Berg, den Richard so sehnlichst zu sehen wünschte, seit er von ihm gelesen hatte, verschwand in einer grauen Wolkendecke, die nur über der Insel zu liegen schien, denn draußen auf See war blauer Himmel. Ein Esel mit Hut, den Richard am Kai stehen sah, war der erste wirklich neue Eindruck, den er von der Welt außerhalb Englands bekam. Proviantboote waren nicht zu sehen. Entweder gab es keine oder sie wurden von den Langbooten zurückgeschickt, die zwischen den vertäuten Transportschiffen patrouillierten. Die Alexander lag zwischen zwei Ankertrossen, die mithilfe schwimmender Fässer gespannt wurden. Richard erfuhr von einem der noch relativ nüchternen Matrosen, dass der Boden des Hafenbeckens mit scharfkantigen Eisenklumpen übersät war, die spanische Schiffe als Ballast mitführten und einfach ins Wasser kippten, wenn sie Fracht aufnahmen. Die Trossen wurden gespannt, damit sie sich an den Eisenstücken nicht durchscheuerten.
    Wie monoton die Landschaft auch aussehen mochte, Richard liebte sie auf den ersten Blick. Von dieser kargen, offensichtlich vulkanischen Insel stammten seine kostbaren Filtersteine. Wie gern hätte er Vetter James, dem Apotheker, von Teneriffa erzählt.
    Ihr Besuch fiel in eine günstige Jahreszeit, erfuhr Richard von einem anderen Matrosen, der die Insel bereits mehrmals besucht hatte. Es war warm, aber weder heiß noch schwül. Im Oktober war es hier unerträglich, und von Juli bis November wehten aus Afrika glühend heiße Winde herüber, die beißenden Sand mitbrachten. Und das, obwohl Afrika hunderte von Meilen entfernt war! Komisch, dachte Richard. Er hatte immer angenommen, in Afrika gebe es nur vor Feuchtigkeit dampfenden Dschungel. Offenbar nicht in diesen Breiten.

    Am Mittwoch kam Stephen Donovan kurz nach Tagesanbruch ins Gefängnis herunter.
    »Morgan«, sagte er barsch, »ich brauche Sie und Ihre Männer. Zehn genügen, aber machen Sie schnell.«
    Ike Rogers ging es mit jedem Tag, den sie vor Anker lagen, etwas besser. Am Vortag hatte er seine Zwiebel mit solchem Genuss verspeist, dass einige Kameraden ihm ihre schenkten. Auch den Kürbis hatte er verschlungen, nur auf Fleisch oder Brot schien er keinen Appetit zu haben. Er war Besorgnis erregend abgemagert. Das vormals volle Gesicht war eingefallen, an seinen Handgelenken standen die Knochen hervor. Joey Long wollte nicht von seiner Seite weichen, und

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